Fachartikel

Wirtschaftliche Arbeitgeberbelastung bei krankheitsbedingter Kündigung

Urteil des BAG vom 22.07.2021 (2 AZR 125/21) - Kriterien der wirtschaftlichen Arbeitgeberbelastung bei krankheitsbedingter Kündigung

Sind Sonderleistungen des Arbeitgebers wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Boni oder Zuschüsse zum Krankengeld als weitere wirtschaftliche Belastung zu berücksichtigen – etwa bei einer Kündigung wegen Krankheit?

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG wird die Rechtswirksamkeit der krankheitsbedingten Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, das dem gesetzlichen Kündigungsschutz unterliegt, in drei Stufen geprüft:

  • Negative Gesundheitsprognose – zum Kündigungszeitpunkt müssen objektive Tatsachen vorliegen, die weitere Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen (erste Stufe).
  • Die prognostizierten Fehlzeiten müssen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers führen (zweite Stufe).
  • Ist dies der Fall, ist im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen (dritte Stufe).

Eine kündigungsrelevante wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers liegt zu folgendem Zeitpunkt vor: Die prognostisch zu Lasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigenden Kosten übersteigen jährlich insgesamt den Betrag, der gemäß §§ 3,4 EFZG als Entgeltfortzahlung für sechs Wochen geschuldet ist.

Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, ist die krankheitsbedingte Kündigung unwirksam – so auch in dem vom BAG mit Urteil vom 22.7.2021 entschiedenen Fall einer langjährig erkrankten Arbeitnehmerin.

 

Kündigung wegen wirtschaftlicher Belastungen

Deren Arbeitsverhältnis bestand seit 1999. Im Jahr 2012 war sie an 52, im Jahr 2013 am 33 und im Jahr 2014 an 47 Arbeitstagen, in den Jahren 2015 und 2016 durchgehend sowie im Jahr 2017 an 112 Arbeitstagen und im Jahr 2018 bis zum 18. Juli durchgängig arbeitsunfähig krank. Die beklagte Arbeitgeberin leistete Entgeltfortzahlung für alle Krankheitstage in den Jahren 2012 und 2013 sowie 44 Krankheitstage im Jahre 2014 und 71 Krankheitstage im Jahre 2017. Trotz der Arbeitsunfähigkeit gewährte die Beklagte der Klägerin im Jahr 2015 Zuschüsse zum Krankengeld und eine tarifliche Einmalzahlung sowie im Jahr 2016 den Bezug sog. Jubiläumsaktien. Zudem erhielt die Klägerin in den Jahren 2015 bis 2017 jeweils ein Urlaubsgeld, ein Weihnachtsgeld sowie ein Tankdeputat, ferner für die Jahre 2015 und 2016 jeweils einen Bonus. Die Zahlung der Krankengeldzuschüsse sowie des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes beruhte auf einer mit dem Betriebsrat vereinbarten Betriebsordnung, die Gewährung des Tankdeputats, der Jubiläumsaktien und des Bonus auf einer Vereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat.

In der Vorinstanz (LAG Hamburg, Urteil vom 13.11.2020 – 2Sa 15/20) blieb die negative Gesundheitsprognose unstreitig. Zu den Betriebsablaufstörungen hatte die Beklagte nicht einmal vorgetragen. Sie berief sich zur Begründung ihrer Kündigung im Wesentlichen auf die wirtschaftlichen Belastungen, ausgelöst durch die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin.

Im Krankheitsfall: Fortzahlung von Entgelt und Zuschüssen?

Das BAG stellte hierzu klar: Für die Beurteilung der zu erwartenden wirtschaftlichen Belastungen sind vor allem Entgeltfortzahlungskosten gemäß §§ 3,4 EFZG beachtlich. Das dem Arbeitnehmer fortzuzahlende Entgelt ist die Vergütung, die bei der individuell maßgebenden regulären Arbeitszeit als Gegenleistung für die Arbeitsleistung angefallen wäre.

Zuschüsse zum Krankengeld, so das BAG weiter, sind grundsätzlich nicht zulasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Ihre Zahlung beruht – anders als die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – nicht auf einer zwingenden gesetzlichen Verpflichtung. Mit der Zusage derartiger Zuschüsse übernimmt der Arbeitgeber vielmehr „freiwillig“ ein nach dem Gesetz dem Arbeitnehmer zugewiesenes Risiko. Verwirklicht es sich, soll dies – in finanzieller Hinsicht – allein zu seinen Lasten gehen und regelmäßig nicht den Bestandsschutz des Arbeitnehmers mindern.

Mit der in einer Betriebsvereinbarung vorgesehenen Verpflichtung, einen Zuschuss zum Krankengeld zu leisten, verlagern die Betriebsparteien zudem typische Arbeitnehmerrisiken auf den Arbeitgeber. Dass damit der Bestandsschutz der Arbeitnehmer beeinträchtigt werden soll, sei nicht anzunehmen.

Belohnung für Betriebstreue: Unabhängig von Arbeitsleistung

Urlaubs- und Weihnachtsgeld sind Leistungen, mit denen ausschließlich erbrachte und/oder künftig erwartete Betriebstreue und nicht auch eine bestimmte Arbeitsleistung honoriert werden. Sie gehen kündigungsrechtlich ebenfalls nicht zulasten des Arbeitnehmers. Der mit diesen Leistungen vom Arbeitgeber verfolgte Zweck wird durch die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht gestört. Der hierfür notwendige Bestand des Arbeitsverhältnisses bleibt von dem krankheitsbedingten Ausfall unberührt.

Ohne Relevanz für den Kündigungsgrund ist auch die Zuwendung der Jubiläumsaktien aus Anlass eines Dienstjubiläums. Dies stellt eine Belohnung für lange Betriebstreue dar und verfehlt diesen Zweck nicht, wenn in einzelnen Jahren aufgrund von Arbeitsunfähigkeit keine Arbeitsleistung erbracht wurde.

Offen blieb, wie die Bonuszahlungen und das Tankdeputat zu behandeln seien. Denn selbst wenn diese Zahlungen als wirtschaftliche Belastung der Beklagten berücksichtigt würden, wären diese nicht erheblich. Die jährlich angefallenen Beträge lagen deutlich unter dem Betrag, der als Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für einen Zeitraum von sechs Wochen pro Jahr an die Klägerin zu zahlen gewesen wäre.

Rechtlich zulässig: Kürzungen von Leistungen im Krankheitsfall

Abgerundet wird das Urteil mit einer Feststellung zu § 4 a EFZG – ergänzend, doch trotzdem wichtig, weil grundsätzlich. Nach dieser Vorschrift ist eine Vereinbarung über die Kürzung von Leistungen, die der Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt (Sondervergütungen), für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zulässig. Vereinbarungen im Sinne von § 4 EFZG sind einzelvertragliche Regelungen, Gesamtzusagen, betriebliche Übungen, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen.

Derartige Leistungen, so führt das BAG aus, stellen selbst dann keine kündigungsrelevante wirtschaftliche Belastung dar, wenn sie nicht allein für den Bestand des Arbeitsverhältnisses, sondern auch für die Arbeitsleistung im Bezugszeitraum gezahlt werden. Zwar führt die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers insofern zu einer – teilweisen – Störung des Austauschverhältnisses, doch ist diesbezüglich durch § 4a EFZG eine abschließende Risikozuweisung erfolgt. Nach Satz 1 der Vorschrift sind Vereinbarungen über die Kürzung von Sondervergütungen auch für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zulässig. Mit einer entsprechenden Kürzung sind Störungen im „Arbeitsleistungsanteil“ der Sondervergütung als behoben anzusehen. Fehlt es an einer solchen Kürzungsregelung, hat der Arbeitgeber das Risiko der unverminderten Zahlung zu tragen.

Auszeichnung der WirtschaftsWoche für die Hamburger Kanzlei Martens & Wieneke-Spohler als Top-Kanzlei für Arbeitsrecht in Hamburg.

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