Arbeitgeberkündigung - Annahmeverzug - Prozessbeschäftigung

Die Prozessbeschäftigung kann die Kündigung des Arbeitgebers infrage stellen.

Rechtlicher Rahmen

Zu den heikelsten Problemen im Arbeitsrecht zählt der Annahmeverzug (§ 615 BGB). Eine typische Fallkonstellation ist die Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers nach Ausspruch einer arbeitgeberseitigen Kündigung, die sich im anschließenden Kündigungsschutzprozess als rechtswidrig erweist mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis unverändert fortbesteht. Der Arbeitgeber hat dann das gesamte rückständige Entgelt nachzuzahlen, ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung der Arbeit verpflichtet wäre. Diesem Risiko können Arbeitgeber dadurch entgehen, dass sie dem Arbeitnehmer eine vorläufig befristete Weiterbeschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses anbieten (sog. Prozessbeschäftigung). Der Annahmeverzug entfällt, wenn der Arbeitnehmer das Angebot zumutbarer Prozessbeschäftigung ablehnt.

Die Zumutbarkeit beurteilt sich nach den Umständen des jeweiligen Falles. Grundsätzlich gilt, dass bei betriebsbedingten Gründen und auch bei personenbedingten Gründen es dem Arbeitnehmer zumutbar sein wird, bis zur endgültigen Entscheidung im Kündigungsschutzprozess die Arbeit weiter zu verrichten.

Andererseits wird bei verhaltensbedingten Kündigungen, insbesondere aber bei fristlosen Kündigungen in der Regel die Unzumutbarkeit der vorläufigen Weiterbeschäftigung gegeben sein. Anders ist es wiederum, wenn der Arbeitnehmer selbst einen gerichtlichen Weiterbeschäftigungsantrag gestellt hat. Mit einer derartigen Fallkonstellation befasst sich das Urteil des BAG v. 29.03.2023.

Der Sachverhalt

Der Kläger war seit dem 2018 bei der Beklagten als technischer Leiter beschäftigt und verdiente 5.250 € brutto monatlich. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2019 sprach die Beklagte eine fristlose Änderungskündigung aus, mit der sie dem Kläger einen neuen Arbeitsvertrag als Softwareentwickler gegen eine auf 3.750 € brutto monatlich verminderte Vergütung anbot. Weiter hieß es in dem Kündigungsschreiben, „im Falle der Ablehnung der außerordentlichen Kündigung durch Sie (also im Falle, dass Sie von einem Arbeitsverhältnis ausgehen) oder im Falle der Annahme des folgenden Angebots, erwarten wir Sie am 5.12.2019 spätestens um 12:00 Uhr zum Arbeitsantritt. 

Der Kläger lehnte das Änderungsangebot ab und erschien auch nicht zur Arbeit. Daraufhin kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 14. Dezember 2019 das Arbeitsverhältnis erneut und zwar außerordentlich zum 17.12.2019. Ferner wie sie darauf hin, „im Falle der Ablehnung dieser außerordentlichen Kündigung“ erwarte sie den Kläger am 17.12.2019 spätestens um 12:00 Uhr zum Arbeitsantritt. Der Kläger nahm das geänderte Stellenangebot nicht an und erschien am 17.12.2019 auch nicht zur Arbeit. 

Im Kündigungsschutzprozess wurde rechtskräftig festgestellt, dass beide Kündigungen das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hätten. Ab dem 1.4.2020 hatte er eine neue Stelle. Für die Zeit bis dahin klagte er auf Vergütung wegen Annahmeverzugslohn.

Das Urteil

Der Verzugslohn wurde dem Kläger von den Vorinstanzen nicht zugesprochen. Der Kläger habe trotz der unwirksamen Kündigungen der Beklagten keinen Anspruch darauf, weil er das Angebot der Beklagten, während des Kündigungsschutzprozess bei ihr weiterzuarbeiten, nicht angenommen habe. Auch das BAG stellte die Unwirksamkeit der Kündigungen fest. Das vorübergehende Arbeitsangebot habe der Kläger aber nicht annehmen müssen. Daher müsse ihm sein früherer Arbeitgeber Verzugslohn in Höhe von insgesamt 20.235 € zahlen.

BAG-Begründung

Weil die Beklagte selbst davon ausgegangen sei, eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei ihr nicht zuzumuten, spreche wegen ihres widersprüchlichen Verhaltens eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sie dem Kläger kein ernst gemeintes Angebot zu einer Prozessbeschäftigung unterbereite. Darüber hinaus lasse die Ablehnung eines solchen Angebots nicht auf fehlende Arbeitsbereitschaft schließen. Es käme lediglich in Betracht, dass der Kläger sich nach § 11 Nr. 2 KSchG böswillig unterlassenen Verdienst anrechnen lassen müsse. Das scheide im Streitfall jedoch aus, weil dem Kläger aufgrund der gegen ihn im Rahmen der Kündigungen erhobenen Vorwürfe und Herabwürdigung seiner Person eine Prozessbeschäftigung bei der Beklagten nicht zumutbar gewesen sei. 

Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger im Kündigungsschutzprozess vorläufige Weiterbeschäftigung beantragt habe. Dieser Antrag sei auf Prozessbeschäftigung nach festgestellter Unwirksamkeit der Kündigungen gerichtet gewesen. Nur wenn der Kläger in einem solchen Fall die Weiterbeschäftigung abgelehnt hätte, hätte er sich seinerseits widersprüchlich verhalten. Hier sei es jedoch um die Weiterbeschäftigung in der Zeit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung gegangen. Es mache einen Unterschied, ob der Arbeitnehmer trotz der gegen ihn im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung erhobenen (gravierenden) Vorwürfe weiterarbeiten solle oder er nach erstinstanzlich Obsiegen im Kündigungsschutzprozess gleichsam „rehabilitiert“ in den Betrieb zurückkehren könne.

Praxis-Hinweis

Die Prozessbeschäftigung birgt für beide Seiten Risiken. Der Arbeitnehmer hat zu bedenken, dass das Angebot abweichender Vertragskonditionen – in bestimmten Grenzen – zulässig ist. Weder andere Arbeitsbedingungen noch ein dementsprechend veränderter Lohn führen per se zur Unzumutbarkeit. Es kommt auf die den Einzelfall prägenden Umstände an (BAG, Urteil v. 07.02.2007 – 5 AZR 422/06).

Der Arbeitgeber muss vermeiden, durch die Prozessbeschäftigung (Angebot weiterer Beschäftigung) die Kündigungsgründe (Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung) infrage zu stellen. Letzterem Risiko ist der Arbeitgeber im vorliegenden Fall erlegen.

Quelle

  • Urteil des BAG v. 29.03.2023 (5 AZR 255/22)

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