Kündigung-Fachartikel

Darlegungs- und Beweislast bei übler Nachrede am Arbeitsplatz

Einordnung

Verbale Entgleisungen am Arbeitsplatz können schwerwiegende Folgen haben. Eine üble Nachrede gemäß § 186 StGB kann, abgesehen von strafrechtlicher Verfolgung, zum Verlust des Arbeitsplatzes führen. Mit dieser Thematik hat sich das BAG in einer wichtigen Entscheidung vom 16.12.2021 befasst. Das Urteil erläutert die schwer verständlichen Regeln der arbeitsrechtlichen Beweisführung, wenn der Kündigungsgrund ein Beleidigungsdelikt ist.

Der Sachverhalt

Die Beklagte erbringt Dienstleistungen für ihre Alleingesellschafterin, u.a. im Bereich Infopoint/Callcenter. Die dort eingesetzte Klägerin hatte eine neue Teamleiterin erhalten. Am 8.4.2019 sandte die Klägerin eine mit „Die Mitarbeiter des Infopoints“ unterzeichnete E-Mail an den Vorstand der Alleingesellschafterin der Beklagten. Darin wurde verlangt, dass die frühere Teamleiterin in ihrer Funktion verbleibe. Unter der neuen Teamleiterin gehe es „drunter und drüber“.

Nachdem sie von der Geschäftsführung der Beklagten aufgefordert worden war, die Vorwürfe zu erläutern und die Urheber der E-Mail zu benennen, nahm die Klägerin mit zwei Schreiben vom 28.5.2019 Stellung, die erneut mit „Die Mitarbeiter des Infopoint“ bzw. „Mehrere Mitarbeiter des Infopoint“ unterzeichnet waren. Dort schilderte sie diverse Vorfälle, ihren Ausgang nehmend im Juni 2017 mit einer Durchsuchung des Infopoint durch den Sicherheitsdienst. In diesem Zusammenhang habe die neue Teamleiterin die Mitarbeiter wegen angeblicher Verstöße gegen das Datenschutzrecht beschimpft und dazu aufgefordert, den Vorfall „unter den Teppich zu kehren“ und „Stillschweigen zu bewahren“. Der Arbeitgeber wies die Vorwürfe zurück und kündigte das Arbeitsverhältnis mit ordentlicher Frist. Es kam zur Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Hamburg.

Das Urteil

In zweiter Instanz beantragte die Beklagte, das Arbeitsverhältnis der Parteien nach § 9 KSchG aufzulösen. Der Auflösungsantrag wurde auch darauf gestützt, dass die Klägerin im ersten Termin zur mündlichen Berufungsverhandlung eine weitere Mitarbeiterin als Urheberin der Mail bezeichnet habe. Die Klägerin hatte in erster und zweiter Instanz Erfolg. Der Auflösungsantrag des Arbeitgebers wurde abgewiesen.

BAG hebt das LAG-Urteil auf

Das BAG hob das Berufungsurteil des LAG Hamburg auf und wies die Sache zur erneuten Aufklärung und Entscheidung an das LAG Hamburg zurück. Das LAG habe rechtsfehlerhaft angenommen, die Klägerin habe durch die von ihr verfassten Schreiben ihre arbeitsvertraglichen Pflichten nicht „gravierend“ verletzt. Das LAG habe verkannt, dass hinsichtlich der darin geschilderten Vorgänge nicht bloß die Wahrnehmung und Bewertung durch die Parteien auseinander gingen. Vielmehr sollte die Klägerin nach dem Vortrag der Beklagten bewusst unwahre, ehrenrührige Tatsachenbehauptungen aufgestellt haben.

Das betreffe insbesondere ihre Behauptung, die neue Teamleiterin habe im Zusammenhang mit den Vorkommnissen im Juni 2017 Mitarbeiter des Infopoint zur Vertuschung und Verschwiegenheit aufgefordert. Zudem fehle es an der Begründung, warum in der wahrheitswidrigen Behauptung der Klägerin, es stünden alle oder doch mehrere Mitarbeiter des Infopoint hinter der E-Mail vom 8.4.2019 und den Schreiben vom 28.5.2019, keine besonders schwere, unmittelbar den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdende Pflichtverletzung liege. Das Schreiben vom 28.5.2019 enthalte konkrete, weiteren Verfassern zugeschriebene Tatsachenbehauptungen und wurde erst versandt, nachdem die Beklagte durch die Bitte um Konkretisierung klargemacht hätte, dass es ihr auf die (Zahl der) Urheber ankomme.

Bezüglich des Auflösungsantrages habe das Berufungsgericht verkannt, dass die Klägerin im Prozess nicht nur ihre unwahre vorgerichtliche Behauptung wiederholt habe, es hätten sämtliche Mitarbeiter des Infopoints hinter der E-Mail vom 8.4.2019 gestanden, sondern dass sie erstmals gezielt eine weitere Mitarbeiterin als Urheberin angeführt habe. Damit habe die Klägerin nicht bloß eine „pauschale Verfasserlüge“ aufrecht erhalten, sondern sie an die Vorhalte der Beklagten im Rechtsstreit angepasst und eine weitere Mitarbeiterin belastet, die damit in den Fokus der Beklagten gerückt worden sei. Darin liege ein Auflösungsgrund im Sinne von § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG vor, wenn davon auszugehen sei, dass die neue Mitarbeiterin an der E-Mail tatsächlich nicht beteiligt gewesen sei.

Die Gerichte hatten zu entscheiden, ob das Verhalten der Arbeitnehmerin den Tatbestand der üblen Nachrede i. S. von § 186 StGB erfülle. Das wäre der Fall, wenn die Behauptung, die Teamleiterin habe Verfehlungen „unter den Teppich kehren“ wollen, unwahr wäre. Dasselbe gilt für eine Lüge über die Urheberschaft der E-Mails. Beide Behauptungen der Klägerin sind sog. negative Tatsachen, deren Vortrag auf Beweisschwierigkeiten stoßen kann. Denn streng genommen ist es für den Arbeitgeber unmöglich zu beweisen, dass sich etwas nicht ereignet hat. Dies führt jedoch nicht zur Befreiung von jeglicher Beweislast.

Das BAG stellt im Kern fest, dass der Arbeitgeber nicht nur die primäre Darlegungslast habe, sondern auch dann die Beweislast für den von ihm behaupteten Kündigungs- bzw. Auflösungsgrund trage, wenn das betreffende Verhalten des Arbeitnehmers den Tatbestand der üblen Nachrede erfülle. Gehe es um den Beweis einer negativen Tatsache, so verschiebe sich die Beweislast nicht. Den Schwierigkeiten, denen sich die Partei gegenübersähe, die das Negative – das Nichtvorliegen einer Tatsache – beweisen müsse, sei dadurch zu begegnen, dass sich der Prozessgegner auf die bloße Behauptung des Negativen durch den primär Darlegungs- und Beweispflichtigen seinerseits nicht auf einfaches Bestreiten beschränken dürfe, sondern im Rahmen einer sekundären Darlegungslast vortragen müsse, welche tatsächlichen Umstände für das Vorliegen des Positiven sprächen. Dem Beweispflichtigen obliege sodann nur der Nachweis, dass diese Darstellung nicht zutreffe.

Die Kündigung könnte sozial gerechtfertigt sein, so dass BAG, wenn die Schreiben vom 28.5.2019 bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen zu Lasten der neuen Teamleiterin enthielten und die Klägerin wahrheitswidrig vorgespiegelt haben sollte, alle oder doch mehrere Mitarbeiter des Infopoint stünden hinter diesen Behauptungen. Dabei könnte auch von Bedeutung sein, ob die Klägerin auf die Mitteilung der Beklagten, man sehe in der E-Mail vom 8.4.2019 einen kündigungsrelevanten Sachverhalt, das Schreiben vom 28.5.2019 nochmals mit der einzigen Änderung versandt habe, dass sie es statt mit „Die Mitarbeiter des Infopoint“ mit „Mehrere Mitarbeiter des Infopoint“ unterzeichnet habe. In diesem Fall dürfte die Klägerin ihr Bewusstsein offenbart haben, dass in einer – gleichwohl „abgeschwächt“ fortgesetzten – „Urheberlüge“ eine erhebliche Pflichtverletzung liege.

Hinsichtlich des Auflösungsantrages werde das LAG prüfen müssen, ob die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit wahrheitswidrig auch die weitere Mitarbeiterin als Urheberin der Mail vom 8.4.2019 benannt habe. Über diese Behauptung wäre – nur – Beweis zu erheben, wenn die Klägerin im Rahmen einer sekundären Darlegungslast den „Urheberbeitrag“ der weiteren Mitarbeiterin (als Positivum gegenüber dem von der Beklagten behaupteten Negativum) substantiiert darlegen sollte.

Unsere Einschätzung

Es bleibt auch bei Kündigungen wegen Beleidigungsdelikten dabei, dass der Arbeitgeber die primäre Darlegungs- und Beweislast für alle Tatbestandsvoraussetzungen (einschließlich der sog. negativen Tatsachen) hat. Bestreitet allerdings der Arbeitgeber, dass die Behauptungen des Verleumders zutreffen, muss der Arbeitnehmer seinen Vortrag substantiieren.

Quelle

Urteil des BAG v. 16.12.2021 (2 AZR 356/21)

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