Kündigung Zugang: Aktuelles Urteil

Zugang der Kündigung durch Hausbriefkasten

Rechtlicher Rahmen

Der Zeitpunkt, in dem eine Kündigung zugeht, ist bei einer Kündigung am Ende der Probezeit entscheidend, genauso wie bei der Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist bei einer fristlosen Kündigung. Entscheiden ist der Zugang der Kündigung aber auch für den Fristbeginn einer Kündigungsschutzklage. 

Bei Abwesenden wird die Kündigung nach § 130 Abs. 1 BGB in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugeht, d.h. derart in in seinen Machtbereich gelangt ist, dass dieser nach den gewöhnlichen Verhältnissen und den Gepflogenheiten des Verkehrs (Verkehrsanschauung) von ihrem Inhalt Kenntnis nehmen kann. Dabei kommt es lediglich auf die mögliche, nicht die tatsächliche Kenntnisnahme an.

Der Sachverhalt​

Der in einem grenznahen französischen wohnhafte Kläger war langjährig bei der Beklagten in deren Werk in Baden-Württemberg beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27.1.2017 (Freitag) fristlos. Das Kündigungsschreiben wurde an diesem Tage von Mitarbeitern der Beklagten gegen 13:25 Uhr in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen. Die Postzustellung am Wohnort des Klägers war regelmäßig bis gegen 11:00 Uhr vormittags erledigt.

Der Kläger hatte am 20.2.2017 (Montag) beim Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage erhoben und für die Fristwahrung geltend gemacht, er habe das Kündigungsschreiben erst am 30.1.2017 (Montag) in seinem Hausbriefkasten vorgefunden.

Das Urteil​

Das LAG hatte angenommen, die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.1.2017 gelte als von Anfang an rechtswirksam, da der Kläger deren Rechtsunwirksamkeit nicht innerhalb der 3-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG geltend gemacht habe. Das Kündigungsschreiben sei dem Kläger bereits am 27.1.2017 zugegangen. Es können nach den gewöhnlichen Verhältnissen und den Gepflogenheiten des Verkehrs mit einer Kenntnisnahme von Schriftstücken gerechnet werden, die bis 17:00 Uhr in den Hausbriefkasten eines Arbeitnehmers eingeworfen werden. Auf den Zeitpunkt der Beendigung der örtlichen Postzustellung komme es nicht an. 

Denn zum einen lasse sich ein solcher Zeitpunkt heute nicht mehr einheitlich verstellen. Zum anderen beruhe ein solches Verständnis auf der Annahme, dass der Empfänger zeitnah nach der Postzustellung in seinem Hausbriefkasten nachsehe, ob er Post erhalten habe. Diese Annahme entspreche nicht mehr der Wirklichkeit, da Berufstätige ihren Hausbriefkasten regelmäßig erst nach Feierabend leerten. 

Demgegenüber hat das BAG die Auffassung des LAG, dass bei einem Posteinwurf bis um 17:00 Uhr gewöhnlich noch mit der Kenntnisnahme durch den Empfänger gerechnet werden könne, bezweifelt. Das LAG habe dabei wesentliche Umstände übersehen. Es habe für die Bestimmung der Verkehrsauffassung irrtümlich auf die Lebensumstände der in einem „Normal- Arbeitsverhältnis“ tätigen Minderheit der Bevölkerung abgestellt. Schon nach den Zahlen, von denen des LAG ausgehe, sei nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung überhaupt kernerwerbstätig, darunter 6,8 Millionen Personen als geringfügig Beschäftigte oder in Teilzeit mit weniger als 20 Stunden Wochenarbeitszeit. 

Daneben habe das LAG 5 % Nachtarbeitnehmer berücksichtigt, die nicht zu normalen Arbeitszeiten arbeiteten. Auf flexible Arbeitszeitmodelle oder im Home-Office Tätige gehe das LAG nicht ein. Darüber hinaus habe das LAG nicht bedacht, dass der Kläger, an dessen Wohnanschrift die Zustellung durchgeführt wurde, nicht in Deutschland, sondern in Frankreich wohnhaft sei. Es komme aber auf die Verkehrsanschauung am Zustellungsort an, so dass alle Deutschland betreffenden statistischen Werte, auf die sich das Berufungsgericht beziehe, ungeeignet seien, das Bestehen einer bestimmten Verkehrsanschauung zur Leerung von Hausbriefkästen in Frankreich, im Department Bas-Rhin oder am Wohnort des Klägers zu begründen. Dort seien sowohl die Daten hinsichtlich der berufstätigen Bevölkerung, als auch die Zeiten für die übliche Leerung von Hausbriefkasten -gegebenenfalls anders als in Deutschland oder in Baden-Württemberg – zu beurteilen.

Das BAG verwies deshalb die Sache zur erneuten Entscheidung an das LAG zurück mit der Auflage, Tatsachenfeststellungen zu einer (gegebenenfalls gewandelten) Verkehrsanschauung betreffend den Zeitpunkt der Leerung von Hausbriefkästen in dem von ihm als maßgeblich angesehenen räumlichen Gebiet zu treffen.

Unsere Einschätzung​

Die Entscheidung des BAG liest sich wie ein Lehrstück zur Frage des Zugangs von Willenserklärungen unter Abwesenden, einem für die Praxis äußerst wichtigen Thema. Viele Fristberechnungen hängen von dieser Frage ab.

Das BAG zeigt, dass eine pauschalierende Betrachtung durch Hinweis auf die Gewohnheiten der in Vollzeit Erwerbstätigen nicht zulässig ist, sondern für die Bestimmung der “gewöhnlichen Verhältnisse“ weitere, wesentliche Umstände heranzuziehen seien.

Das LAG wird sich also erneut mit dem Fall beschäftigen und umfassend klären müssen, wann der Durchschnittsbürger im französisch-deutschen Grenzgebiet üblicherweise seinen Briefkasten leert.

Weiterführende Links

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