LAG Hessen vom 28.02.2025, Aktenzeichen 14 SLa 578/24
Kündigungsschutz für Geschäftsführer nach Abberufung?
Darf einem ehemaligen Geschäftsführer, der aufgrund eines Arbeitsvertrags tätig war, nach seiner Abberufung ohne Einhaltung des Kündigungsschutzes gekündigt werden?
Diese Frage behandelt das Hessische Landesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 28. Februar 2025, Aktenzeichen 14 SLa 578/24).
Die Vorinstanz, das Arbeitsgericht Darmstadt, hatte dem Kläger nur teilweise recht gegeben (Az. 8 Ca 153/23).
Die Revision wurde teilweise zugelassen. Wie das Gericht entschied und welche Argumente die Entscheidung maßgeblich beeinflussten, erfahren Sie im Folgenden in der Urteilsbesprechung von Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht, Kai Höppner.
Kai Höppner
Datum
28.02.2025
Aktenzeichen
14 SLa 578/24
Gericht
LAG Hessen
Einordnung
Kernfrage des Verfahrens war die Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) auf einen ehemaligen Geschäftsführer, der zuvor auf Basis eines Arbeitsvertrags tätig war.
Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG gelten die Vorschriften des ersten Abschnitts des KSchG nicht für Organmitglieder juristischer Personen. Umstritten war jedoch, ob diese „Negativfiktion“ auch dann noch greift, wenn der Betroffene zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs nicht mehr als Organ tätig ist, sondern bereits von der Gesellschaft abberufen wurde.
Das LAG Hessen grenzt diese Frage systematisch und teleologisch gegen § 14 Abs. 2 KSchG ab, der auf leitende Angestellte mit weiterhin bestehender Sonderstellung im Betrieb abstellt.
Entscheidend sei die tatsächliche Ausübung der Organstellung im Zeitpunkt des Kündigungszugangs. Diesbezüglich schließt sich das Gericht der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung an, wonach die Schutzversagung nach § 14 Abs. 1 KSchG ihre Legitimation nur aus der tatsächlichen Wahrnehmung von Arbeitgeberfunktionen ableiten kann.
Diese Rechtsauffassung wird ausführlich begründet und im Lichte des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 GG) betrachtet.
Maßgeblich für das Eingreifen der Negativfiktion ist vielmehr, ob die Organstellung im Zeitpunkt der Kündigung noch bestand oder nicht.
Der Sachverhalt
Der Kläger war seit April 2021 als „Vice President für A“ bei der Beklagten tätig. Grundlage war ein Arbeitsvertrag, der ihm keine feste Geschäftsführertätigkeit, wohl aber die Möglichkeit einer solchen Funktion eröffnete.
Tatsächlich wurde der Kläger im Mai 2021 zum Geschäftsführer bestellt und ins Handelsregister eingetragen. Die Abberufung erfolgte Ende 2022. Die Eintragung im Handelsregister wurde im Februar 2023 gelöscht.
In der Zwischenzeit unternahm die Beklagte erfolglose Versuche, dem Kläger eine gleichwertige Position anzubieten. Schließlich kündigte sie ihm im Juni 2023 ordentlich. Die Kündigung war durch eine Prokuristin unterzeichnet und beruhte auf einem Beschluss der Gesellschafterversammlung.
Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage mit der Begründung, § 14 KSchG sei nicht anwendbar, da er bei Kündigungszugang kein Organmitglied mehr gewesen sei.
Zudem rügte er die fehlende Anhörung des Betriebsrats sowie die formelle Unwirksamkeit der Kündigung.
Das Urteil
Das LAG Hessen gab der Klage teilweise statt. Es stellte fest, dass die Kündigung vom 28. Juni 2023 das Arbeitsverhältnis nicht beendet habe. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt nach § 1 Abs. 2 KSchG, da sie keiner sozialen Rechtfertigung unterliege und sich die Beklagte auf keinen Kündigungsgrund berufen habe.
Zudem entschied das Gericht, dass § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG auf den Kläger nicht mehr anwendbar sei, da er bei Zugang der Kündigung kein Organmitglied mehr war.
Das Gericht analysierte ausführlich die Auslegung des § 14 KSchG und kam zu dem Ergebnis, dass die Anwendung der Vorschrift im Sinne der rechtsdogmatischen Grundlagen auf das tatsächliche Bestehen einer Organstellung des Geschäftsführers zum Kündigungszeitpunkt beschränkt sei.
Auch die Annahme, der Arbeitsvertrag sei ausschließlich der Bestellung zum Geschäftsführer zugeordnet gewesen, wies das Gericht zurück. Der Vertrag enthielt ausdrücklich die Möglichkeit anderweitiger Tätigkeiten. Dies spreche gegen eine rein organschaftsgebundene Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses.
Die Weiterbeschäftigungsanträge des Klägers wurden hingegen mangels hinreichender Bestimmtheit abgewiesen, da die Tätigkeitsbeschreibungen „Vice President für A“ und „Special Project Manager“ nicht ausreichend konkretisiert waren.
Unser Fazit
Das Urteil stärkt die Position von ehemaligen Organmitgliedern, die auf arbeitsvertraglicher Basis tätig waren.
Es stellt klar, dass der Schutz nach dem Kündigungsschutzgesetz auch nach einer Abberufung greifen kann, wenn keine Organstellung mehr besteht.
Für Arbeitgeber bedeutet dies: Wer sich auf § 14 Abs. 1 KSchG berufen will, sollte rechtzeitig handeln und Kündigungen während der laufenden Organstellung aussprechen.
Das Urteil dürfte erhebliche Auswirkungen auf die Praxis der Trennung von GmbH-Geschäftsführern haben, deren Tätigkeit auf einem Arbeitsvertrag beruht.
Weiterführende Links
An dieser Stelle finden Sie das besprochene Urteil sowie weiterführende Links zu Rechtstexten.
- Hessisches Landesarbeitsgericht, 28.02.2025, Aktenzeichen: 14 SLa 578/24
- § 1 Abs. 2 KSchG – Soziale Rechtfertigung der Kündigung
- § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG – Ausschluss des Kündigungsschutzes für Organvertreter
- § 5 Abs. 1 BetrVG – Begriff des Arbeitnehmers im Betriebsverfassungsrecht
- § 46 Nr. 5 GmbHG – Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung
- § 162 Abs. 2 BGB – Rechtsmissbrauch
- § 106 GewO – Direktionsrecht
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