Massenentlassung ohne Massenentlassungsanzeige

Arbeitnehmer reicht Kündigungsschutzklage ein

Ein Arbeitgeber hat ohne die erforderliche Massenentlassungsanzeige eine Kündigung ausgesprochen. Die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers wurde vom BAG an den EuGH verwiesen.

Die Besprechung des Falls übernimmt unser Fachanwalt für Arbeitsrecht Christian Wieneke-Spohler.

Portrait von Christian Wieneke-Spohler, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt
Christian Wieneke-Spohler

Datum

01.02.2024

Aktenzeichen

2 AS 22/23 (A)

Einordnung und rechtlicher Rahmen

Der vorliegende Fall betrifft die rechtlichen Folgen von Fehlern im Anzeigeverfahren bei Massenentlassungen, insbesondere im Kontext der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (MERL).

Die zentralen Fragen drehen sich um die Bedeutung der Entlassungssperre gemäß Art. 4 Abs. 1 MERL und die Anforderungen an eine Massenentlassungsanzeige nach Art. 3 Abs. 1 MERL.

Es wird zudem die Möglichkeit der Nachholung einer fehlenden oder fehlerhaften Massenentlassungsanzeige und die rechtliche Bindungswirkung der behördlichen Feststellung zum Ablauf der Entlassungssperre thematisiert.

Die Entlassungssperre wirkt als Mindestkündigungsfrist, die sicherstellt, dass die Agentur für Arbeit ausreichend Zeit hat, nach Lösungen für die durch die Massenentlassungen aufgeworfenen Probleme zu suchen.

Der Sachverhalt

Ein Arbeitgeber hat ohne die erforderliche Massenentlassungsanzeige eine Kündigung ausgesprochen. Die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers wurde vom Bundesarbeitsgericht aufgrund bestehender Meinungsverschiedenheiten zwischen den Senaten des BAG und der Notwendigkeit einer unionsrechtskonformen Auslegung an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) verwiesen.

Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts möchte von seiner bisherigen Rechtsauffassung, dass das Fehlen einer Massenentlassungsanzeige keinerlei rechtlichen Einfluss auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat, abweichen. Dagegen sieht der Zweite Senat eine differenziertere Betrachtung als erforderlich an, insbesondere hinsichtlich der Notwendigkeit einer ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige.

BAG-Anruf des EuGH

Das Bundesarbeitsgericht hat den EuGH um Vorabentscheidung zu vier Kernfragen gebeten:

  1. Ob eine Kündigung erst nach Ablauf der Entlassungssperre wirksam werden kann.
  2. Ob das Ablaufen der Entlassungssperre eine den Vorgaben genügende Massenentlassungsanzeige voraussetzt.
  3. Ob eine nachträgliche Anzeige die Wirksamkeit bereits ausgesprochener Kündigungen ermöglicht.
  4. Ob die behördliche Feststellung zum Ablauf der Entlassungssperre gerichtlich überprüfbar sein muss.

Die wesentlichen Erwägungen betreffen die Notwendigkeit einer korrekten Massenentlassungsanzeige für die Wirksamkeit von Kündigungen, die Möglichkeit der Nachholung einer solchen Anzeige und die Bedeutung der Entlassungssperre für den Schutz des Arbeitsmarktes und der betroffenen Arbeitnehmer.

Der Zweite Senat vertritt die Auffassung, dass eine nachträgliche Anzeige die Rechtswirkungen der Kündigung nicht unmittelbar entfalten lassen kann, sondern die Entlassungssperre eine Mindestfrist darstellt, die der Agentur für Arbeit eine angemessene Vorbereitungszeit für die Vermittlungsbemühungen gibt.

Die Nachholung einer fehlenden oder fehlerhaften Massenentlassungsanzeige ermöglicht es nicht, die rechtlichen Wirkungen einer Kündigung unmittelbar herbeizuführen, sondern setzt die Rechtsfolgen der Kündigung bis zum Ablauf der Entlassungssperre aus.

Unser Fazit

Das Anfrageverfahren des BAG beleuchtet die Komplexität und Tragweite des Anzeigeverfahrens bei Massenentlassungen und die Bedeutung einer unionsrechtskonformen Auslegung nationaler Vorschriften.

Die Entscheidungen des EuGH zu diesen Fragen werden maßgeblich zur Klärung der rechtlichen Folgen von Fehlern im Anzeigeverfahren beitragen und damit sowohl für die Praxis des Kündigungsschutzes als auch für das Verständnis des Zusammenspiels nationalen und Unionsrechts von Bedeutung sein.

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