Außerordentliche Arbeitnehmerkündigung | Urteil & Fazit

Kündigung nach arbeitgeberseitiger Ablehnung vertragsgemäßer Beschäftigung

Außerordentliche Arbeitnehmer-Kündigung ist selten

Eher selten haben sich die Arbeitsgerichte mit der Wirksamkeit einer außerordentlichen eines Arbeitnehmers zu befassen. Ein solcher Ausnahmefall lag dem LAG Köln in einem von dem Arbeitgeber betriebenen Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vor.

Der Sachverhalt

In einem TV-Produktionsunternehmen kam es zwischen der langjährigen, als Creative Direktor tätigen stellvertretenden Geschäftsführerin und der neu berufenen Geschäftsführung zu Konflikten über die inhaltliche Ausrichtung. Die Arbeitnehmerin erkrankte und erhielt währenddessen die Dienstanweisung vom 19.8.2022, mit der ihr die Projektleitung entzogen und der Kundenkontakt sowie die Kontaktaufnahme zu anderen Kollegen untersagt wurden. Ferner wurde sie aus allen E-Mail-Verteilern genommen. Nach Ende der Arbeitsunfähigkeit am 6.9.2022 wurde die Arbeitnehmerin widerruflich freigestellt.

Abfindungsangebot und dessen Rücknahme

Nach einer Beschwerde der Arbeitnehmerin kam es zu Verhandlungen über die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Ein Entwurf des Arbeitgebers vom 12.9.2022 erhielt das Angebot, bei vorzeitigem Ausscheiden innerhalb der sechsmonatigen Kündigungsfrist die freiwerdenden Gehälter als Abfindung zu zahlen. Weiter hieß es: „Die vorzeitige Beendigung entspricht dem Willen des Arbeitgebers“. Noch am selben Tage zog der Arbeitgeber das Angebot zurück, nachdem er von einer ausscheidenden Mitarbeiterin erfahren hatte, dass die Arbeitnehmerin Mitarbeiter zu einem Konkurrenzunternehmen abwerbe.

Forderung der Weiterbeschäftigung 

Daraufhin mahnte der Anwalt der Arbeitnehmerin den Arbeitgeber mit Schreiben vom 13.9.2022 ab. Darin forderte er den Arbeitgeber unter Fristsetzung auf, die Dienstanweisung und die Freistellung zurückzunehmen, die Arbeitnehmerin als stellvertretende Geschäftsführerin weiter zu beschäftigen und konkrete Projekte zu benennen, für die die Arbeitnehmerin zukünftig verantwortlich sei, sowie den Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Tätigkeit mitzuteilen. Für den Fall der Erfolglosigkeit der Abmahnung drohte der Anwalt der Arbeitnehmerin die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses an.

Gesprächsangebot des Arbeitgebers

Am 14.9.2022 forderte der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin zur Teilnahme an einem Gespräch an einem außerhalb des Betriebes gelegenen Ort auf, „um mit der Geschäftsführung den zukünftigen Aufgabenbereich zu besprechen“. Die Angestellte lehnte das Gesprächsangebot ab und verlangte stattdessen die schriftliche Konkretisierung des Aufgabenbereichs. Der Arbeitgeber wiederholte – erfolglos – diese Aufforderung, worauf die Arbeitnehmerin mit einer fristlosen Eigenkündigung vom 30.9.2022 reagierte. Ab November 2022 nahm sie eine Tätigkeit in einem Konkurrenzunternehmen des Arbeitgebers auf.

Das Urteil

Dem Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers entspricht die vertragsgemäße Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers. Die Weigerung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer vertragsgemäß zu beschäftigen, ist „an sich geeignet“, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung durch den Arbeitnehmer zu bilden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung die Abmahnung. Die Kündigung selbst erfordert eine Interessenabwägung, wonach das Beendigungsinteresse des Arbeitnehmers das Fortsetzungsinteresse des Arbeitgebers überragen muss.

Urteilsbegründung

Unter Berücksichtigung dieser von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze hat das LAG Köln den Erlass der von dem Arbeitgeber begehrten einstweiligen Verfügung wegen der Konkurrenztätigkeit der Arbeitnehmerin am dem 01.11.22 abgelehnt und dazu ausgeführt:

Während des rechtlichen Bestehens eines Arbeitsverhältnisses ist einem Arbeitnehmer grundsätzlich jede Konkurrenztätigkeit zum Nachteil seines Arbeitgebers untersagt. Der Arbeitgeber soll vor Wettbewerbshandlungen seines Arbeitnehmers geschützt werden. Das aus § 60 HGB abzuleitende vertragsimmanente Wettbewerbsverbot ist allerdings nur so lange gültig, wie das Arbeitsverhältnis rechtlich besteht. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist es dem Arbeitnehmer grundsätzlich erlaubt, zu seinem Arbeitgeber in Wettbewerb zu treten. Im vorliegenden Fall sei das Arbeitsverhältnis aufgrund wirksamer fristloser Eigenkündigung der Arbeitnehmerin beendet gewesen.

Verstoß gegen die Beschäftigungspflicht

Der Arbeitgeber habe gegen seine Beschäftigungspflicht verstoßen. Er habe die Arbeitnehmerin zum Zeitpunkt des Zugangs der Eigenkündigung vom 30.9.2022 nicht vertragsgerecht beschäftigt. Die Arbeitnehmerin sei zu diesem Zeitpunkt freigestellt gewesen. Spätestens nach erfolgter Aufforderung zur vertragsgemäßen Beschäftigung – verbunden mit einer Fristsetzung – hätte der Arbeitgeber die Freistellung aufheben müssen.

Abmahnung der Arbeitnehmerin

Die Arbeitnehmerin habe die nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erforderliche Abmahnung ausgesprochen. Darin sei ausdrücklich moniert worden, dass eine vertragsgerechte Beschäftigung derzeit nicht erfolge. Es sei eine Aufforderung erfolgt, die Freistellung aufzuheben, und zwar mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass es sich um eine Abmahnung handele.

Hier habe die Besonderheit bestanden, dass der Arbeitgeber zu keinem Zeitpunkt konkret behauptet habe, welche Pläne zur vertragsgemäßen Beschäftigung bestünden. Er habe auch keineswegs angeboten, die streitigen Maßnahmen nach Genesung rückgängig machen zu wollen. Im Gegenteil: Es sei allein angeboten worden, die Rolle der Arbeitnehmerin in der Zukunft zu besprechen. Diese weiche Formulierung habe offenbart, dass gerade nicht beabsichtigt gewesen sei, die Arbeitnehmerin exakt in derselben Aufgabenstellung zu beschäftigen. Denn in diesem Fall habe nichts besprochen werden müssen.

Das aus den Vertragsverletzungen des Arbeitgebers resultierende Interesse der Arbeitnehmerin an einer sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses habe das Interesse des Arbeitgebers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist überwogen.

Schwerwiegende Pflichtverletzung des Arbeitgebers

Das Gericht hielt die Pflichtverletzung des Arbeitgebers in der Gesamtbetrachtung für schwerwiegend. Sie sei so erheblich, dass die Möglichkeit der Rückkehr auf die ursprüngliche Position und die Wiederherstellung des damit verbundenen Ansehens nahezu ausscheiden. Das Interesse des Arbeitgebers erschöpfe sich allein in der Verhinderung der frühzeitigen Abwanderung der Arbeitnehmerin zur Konkurrenz.

Der Arbeitgeber habe in beeindruckender Eindeutigkeit gezeigt, dass er kein Interesse an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses habe. Richtig sei zwar, dass er formal zu einem Personalgespräch eingeladen und in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen habe, dass er gewillt sei, eine weitere Beschäftigung zu ermöglichen. Seine im einzelnen beschriebenen Handlungen stünden jedoch hierzu im krassen Widerspruch. Ein nachhaltiges Interesse an einer vertragsgerechten Beschäftigung der Arbeitnehmerin habe nicht bestanden, wie in der Bereitschaft zum Ausdruck gebracht worden sei, einen Aufhebungsvertrag mit Turboklausel abzuschließen.

BAG-Begründung

Das Urteil hat in mehrfacher Hinsicht Bedeutung für die Praxis:

  1. Es räumt mit dem vielfachen Missverständnis auf, dass nur der Arbeitgeber zur Abmahnung berechtigt sei.
  2. Es definiert zu Recht das Personalgespräch als Ausdruck der dem Arbeitgeber nach § 106 GewO eingeräumten Weisungsbefugnis. Umgekehrt bedeutet dies, dass eine arbeitgeberseitige Aufforderung zur Teilnahme an einem Gespräch, das nicht der Erteilung von Weisungen gemäß § 106 GewO dient, kein Personalgespräch in diesem Sinne ist und ignoriert werden kann.
  3. Das LAG bekräftigt in eindeutiger Weise den aus dem verfassungsmäßigen Persönlichkeitsrecht abgeleiteten Beschäftigungsanspruch und dessen Durchsetzbarkeit, unabhängig von der Bereitschaft des Arbeitgebers zur Fortzahlung des Gehalts.

Quelle

  • Urteil des LAG Köln vom 25.01.2023 (4 SaGa 16/22)