Urteil: Altersabhängige Stichtagsregelung contra Sozialplanabfindung

Anspruch auf Abfindung in rentennahem Alter?

Einordnung

Als unzumutbare und nicht hinzunehmende Härte wird von vielen Arbeitnehmern eine Stichtagsregelung in einem Sozialplan empfunden, die dazu führt, dass dem Grunde nach bestehende Ansprüche, etwa auf Abfindungen, wegen Überschreitens einer Stichtagsgrenze gekürzt werden oder gar entfallen.

Der Sachverhalt

Das LAG Nürnberg hatte es in seinem Urteil vom 19.01.2023 mit einer Stichtagsregelung zu tun, die Abfindungen entsprechend der Dauer der Betriebszugehörigkeit sowie der Höhe des Gehalts, allerdings mit einer Kürzung des Gehalts ab Vollendung des 62. Lebensjahres, vorsah.

Davon war der zum Zeitpunkt der Entlassung im Jahre 2021 knapp 62-jährige Kläger betroffen, der ab Januar 2022 vorgezogene Altersrente mit Abschlägen und ab Januar 2025 die Regelaltersrente beanspruchen konnte. Trotz 25-jähriger Betriebszugehörigkeit sollte er nur eine Abfindung von ca. 9.250,- Euro erhalten. Wäre er zum Stichtag jünger als 62 Jahre gewesen, hätte die Abfindung 37.000,- Euro betragen. Er klagte auf den Differenzbetrag, da nach seiner Auffassung die Stichtagsregelung rechtswidrig und unzumutbar sei. Sie stelle eine unzulässige Altersdiskriminierung dar, zudem sei er durch die Rentenberechtigung nicht hinreichend abgesichert.

Das Urteil

Das sah das LAG Nürnberg anders und führte in seinem klagabweisenden Urteil aus, dass Arbeitgeber und Betriebsrat in Sozialplänen Stichtage vorsehen können, wenn diese selbst und die damit verbundene Grenzziehung am gegebenen Sachverhalt orientiert und damit einen sachlichen Grund hätten. Führe der Stichtag, wie im vorliegenden Fall, dazu, dass ein unmittelbar vor der Vollendung des 62. Lebensjahres stehender Arbeitnehmer eine erheblich höhere Abfindung erhalte als ein vergleichbarer Arbeitnehmer, der dieses Lebensjahr gerade vollendet habe, so handele es sich zwar um eine „Härte“. Derartige Rechtsfolgen seien aber mit Stichtagsregelungen regelmäßig verbunden und im Interesse der Rechtssicherheit hinzunehmen.

Urteilsbegründung

Die Abfindungsleistungen sollen vorliegend dem Umstand Rechnung tragen, dass jüngere Arbeitnehmer bei einer über die Dauer des Arbeitslosengeldbezuges hinausgehenden fortdauernden Arbeitslosigkeit typischerweise auf die – bedarfsabhängige – Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II angewiesen seien. Die mit den Sozialplanleistungen verfolgte Überbrückungsfunktion bezwecke somit eine Milderung des hiermit verbundenen wirtschaftlichen Nachteils. 

Die Betriebsparteien dürfen bei rentennahen Arbeitnehmern davon ausgehen, dass sie selbst im Falle einer nach dem Bezug von Arbeitslosengeld fortbestehenden Arbeitslosigkeit durch die Rentenbezugsberechtigung für die Regelaltersrente und die Möglichkeit zur Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente ausreichend wirtschaftlich abgesichert seien.

Dass der Kläger nur eine relativ geringe vorzeitige Altersrente und spätere Altersrente beziehen werde, mache die Regelung des Sozialplans nicht unverhältnismäßig. Eine typisierende Betrachtung liege im Rahmen des den Betriebsparteien zustehenden Beurteilungsspielraumes. Auf die konkrete wirtschaftliche Absicherung des Klägers komme es nicht an. Die Höhe der sich im Einzelfall aus der gesetzlichen Rentenversicherung ergebenden Ansprüche sei für die Wirksamkeit eines Sozialplans ohne Bedeutung.

Die dem Kläger durch den Wegfall des Arbeitsentgeltes entstehenden wirtschaftlichen Nachteile während des Arbeitslosengeldbezuges seien durch die Abfindung von 9.250,- Euro zumindest substantiell ausgeglichen. Damit sei das Interesse des Arbeitnehmers, der am Stichtag das 62. Lebensjahr vollendet habe, im Sozialplan bei der Ausgestaltung der ihn betreffenden Ausgleichsregelung angemessen beachtet worden.

Unser Fazit

Arbeitgeber und Betriebsrat haben bei der Ausgestaltung der Abfindungsregelung im Sozialplan einen weiten Beurteilungsspielraum, insbesondere im Hinblick auf die Berücksichtigung eines rentennahen Alters; die getroffenen Regelungen müssen aber sachlich begründet sein.

Quelle

  • Urteil des LAG Nürnberg v. 19.02.2023 (8 Sa 164/22)

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