Urteil zum Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
Entgeltfortzahlung nur bei Arbeitsunfähigkeit
Rechtlicher Rahmen
Erkrankung ungleich Arbeitsunfähigkeit
Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß § 3 EFZG haben Arbeitnehmer im Falle von Arbeitsunfähigkeit, aber nicht allein gleichbedeutend mit Krankheit. Als arbeitsunfähig gilt, wer aufgrund von Krankheit seine ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann. Nicht jede Erkrankung führt demnach zur Arbeitsunfähigkeit. Deshalb ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die konkrete Erkrankung zur Folge hat, dass die geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr erbracht werden kann.
Ärztliches Attest: Beweiswert
Ein erkrankter Arbeitnehmer muss darlegen und beweisen, dass er arbeitsunfähig ist. Hierzu dient die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Nach der Rechtsprechung des BAG hat das ärztliche Attest einen hohen Beweiswert. Für dessen inhaltliche Richtigkeit spricht der sog. Beweis des ersten Anscheins. Die Arbeitsunfähigkeit gilt damit grundsätzlich als nachgewiesen.
Zweifel am Attest
In dem Fall kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung nicht mit der bloßen Behauptung ablehnen, es läge keine Arbeitsunfähigkeit vor. Der Arbeitgeber muss vielmehr konkrete Tatsachen vortragen, die zu ernsthaften Zweifeln an der ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit Anlass geben. Dafür haben sich in der Rechtsprechung verschiedene Fallgruppen herausgebildet, z. B. die Erkrankung nach Ablehnung eines Urlaubsantrages im Urlaubszeitraum, mit einer Arbeitsunfähigkeit unvereinbare Freizeitaktivitäten oder unentschuldigte Nichtbefolgung einer Vorlage zur vertrauensärztlichen Untersuchung.
Der Sachverhalt
Über einen vergleichbaren Missbrauchsfall hatte das LAG Schleswig-Holstein mit Urteil vom 02.05.2023 zu entscheiden.
Eine als Pflegeassistenten beschäftigte Arbeitnehmerin hatte mit Schreiben vom 05.05.2022 zum 15.6.2022 ihr Arbeitsverhältnis gekündigt. Ab dem 05.05.2022 erschien sie nicht mehr zur Arbeit und reichte durchgehend bis zum 15.06.2022, also genau für die Dauer der sechswöchigen Entgeltfortzahlung, mehrere ärztliche Atteste ein. Sie berief sich auf eine mit Magenbeschwerden einhergehende „arbeitsplatzspezifische Belastung“.
In dem Kündigungsschreiben bedankte sie sich bei dem Arbeitgeber für die Zusammenarbeit, wünschte dem Unternehmen für die Zukunft alles Gute und bat um Zusendung der Arbeitspapiere. Die beklagte Arbeitgeberin verweigerte die Lohnfortzahlung.
Die Person, auf deren angeblich harschen Umgang die Klägerin die behauptete Belastung stützte, habe mit der Klägerin keinen direkten Kontakt gehabt. Zudem habe der attestierende Arzt eine Kollegin der Klägerin ebenfalls passgenau im Zeitraum zwischen der Eigenkündigung und dem Ablauf der Kündigungsfrist krankgeschrieben.
Das Urteil
Das LAG Schleswig-Holstein hielt entgegen der 1. Instanz den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für erschüttert und wies die Klage ab.
Das LAG verwies auf die Rechtsprechung des BAG, wonach der Beweiswert eines vorgelegten Attestes erschüttert sei, wenn die Krankschreibung des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit seiner Kündigung und passgenau für die Dauer der gesamten Kündigungszeit erfolge. Diese Rechtsprechung sei auf den – hier vorliegenden – Fall übertragbar, wenn die Krankschreibung aufgrund mehrerer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durchgehend bis zum Ende der Kündigungsfrist erfolge.
Im Rahmen der Gesamtwürdigung aller Indizien käme hinzu, dass die Klägerin von vornherein nicht mehr mit ihrer Anwesenheit an der Arbeitsstelle rechnete. Dem Arbeitgeber sei es unter Hinweis auf diese Indizien gelungen, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu erschüttern, wohingegen die Klägerin zusätzlichen Beweis für die behauptete Arbeitsunfähigkeit nicht erbracht habe.
Unser Fazit
Quelle
- Urteil des LAG Schleswig-Holstein vom 02.05.2023 (2 Sa 203/22)
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