Landesarbeitsgericht Köln vom 11.03.2025, Aktenzeichen 7 SLa 512/24

Ist ein Abfindungsvertrag nachträglich anpassbar?

In einer Entscheidung des LAG Köln (7 SLa 512/24) vom 11. März 2025 steht ein Mechatroniker im Mittelpunkt, der sich Ende 2021 auf ein freiwilliges Abfindungsprogramm des Arbeitgebers eingelassen hatte. Knapp anderthalb Jahre später legte dieser Arbeitgeber jedoch ein deutlich attraktiveres Programm auf.

Bereits vor dem Arbeitsgericht Köln (19 Ca 2283/24) wurde über einen möglichen Anpassungsanspruch verhandelt.

Die Urteilsbesprechung übernimmt unser Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christian Wieneke-Spohler.

Portrait von Christian Wieneke-Spohler, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt
Christian Wieneke-Spohler

Datum

11.03.2025

Aktenzeichen

7 SLa 512/24

Gericht

LAG Köln

Einordnung

Entscheidend war zunächst § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage). Nach dieser Vorschrift ist ein Vertrag anzupassen, wenn sich Umstände, die zu seiner Grundlage geworden sind, schwerwiegend verändert haben und einem Vertragspartner das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht mehr zuzumuten ist.

Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) verlangt, dass die Parteien den Vertrag ohne die veränderten Umstände nicht oder anders geschlossen hätten und dass die Risikoverteilung nicht einseitig zulasten eines Vertragspartners geht.

Zusätzlich prüfte das Gericht einen möglichen Schadensersatzanspruch nach § 280 Absatz 1 BGB wegen Pflichtverletzung im vorvertraglichen Verhandlungsstadium (Gebot fairen Verhandelns).

Auch Grundsätze der Vertragsauslegung nach § 133 BGB (Ermittlung des wirklichen Parteiwillens unter Berücksichtigung von Wortlaut, Systematik und Begleitumständen) spielten eine zentrale Rolle.

Die Formulierungen … ‚Es erfolgt nach Unterzeichnung keine spätere Anpassung der Konditionen. Die Konditionen werden sich im Laufe der Zeit nicht verbessern.‘ stellen weder Willens- noch Garantieerklärungen für alle zukünftigen Programme dar.

Der Sachverhalt

Der 1968 geborene Kläger war vom 9. April 1990 bis zum 31. Juli 2023 als Mechatroniker bei der deutschen Tochtergesellschaft eines US-Automobilherstellers beschäftigt. Im März 2019 startete das Unternehmen das Freiwilligenprogramm „Reset & Redesign“, das Mitarbeitenden ab 55 Jahren eine Überbrückungszahlung von 55 Prozent des letzten Bruttomonatsentgelts bis zum 63. Lebensjahr sowie eine monatliche Pauschale von 300 € zur Sozialversicherung bot.

Dieses Programm lief zunächst bis Ende 2019 und wurde bis zum 31. Dezember 2021 verlängert. Ein Flyer wies ausdrücklich darauf hin, dass die Abfindungssumme nicht verhandelbar sei, nach Unterzeichnung keine Anpassung folge und sich die Konditionen „im Laufe der Zeit“ nicht verbessern würden.

Kurz vor Programmende unterzeichneten Kläger und Beklagte am 16. Dezember 2021 einen Aufhebungsvertrag mit Beendigung zum 31. Juli 2023 und einer insgesamt 110.587,62 € brutto umfassenden Abfindung, ausgezahlt als monatliches Überbrückungsgeld in gestaffelter Höhe.

Ein weiteres identisch ausgestaltetes Programm für 2022 lief ohne Veränderung. Im Frühjahr 2023 verhandelten Arbeitgeber und Betriebsrat jedoch eine „Future-Rahmenvereinbarung (FP 2023)“ mit einer Überbrückungszahlung von 65 Prozent des Bruttogehalts oder einer alternativen Sprinterabfindung. Diese Vereinbarung wurde nach Zustimmung durch die US-Muttergesellschaft zum 5. April 2023 umgesetzt.

Mit Schreiben vom 16. April 2024 machte der Arbeitnehmer geltend, ihm stünden die verbesserten Konditionen aus FP 2023 „programmübergreifend“ zu, da der ursprüngliche Flyer versprochen habe, es gebe später keine besseren Angebote.

Er begehrte daher alternativ Schadenersatz oder – höchst hilfsweise – die Feststellung der Unwirksamkeit seines ursprünglichen Aufhebungsvertrags. Das Arbeitsgericht Köln wies die Klage am 6. September 2024 ab; die Berufung führte zum Landesarbeitsgericht Köln.

Das Urteil

Das Landesarbeitsgericht Köln wies die Berufung kostenpflichtig zurück und ließ die Revision nicht zu. Zur Anpassung nach § 313 BGB führte das Gericht aus, dass im Aufhebungsvertrag und im Flyer keine programmübergreifenden Garantien enthalten seien, sondern lediglich Hinweise auf die jeweils befristete Laufzeit des damaligen Programms.

Nach § 133 BGB sei die Formulierung „im Laufe der Zeit“ eindeutig auf die Dauer des „Reset & Redesign“-Programms bezogen, um Spekulationen auf verbesserte Konditionen innerhalb dieses Zeitraums zu unterbinden. Eine unbefristete Obergrenze für alle künftigen Programme habe der objektive Erklärungsempfänger nicht erwarten können.
Selbst bei Annahme einer Geschäftsgrundlage liege keine Unzumutbarkeit vor, da die Vertragssumme von über 110.000 € brutto eine erhebliche Gegenleistung darstelle.

Einen Schadensersatzanspruch aus § 280 BGB verneinte das Gericht mangels Pflichtverletzung und Kausalität. Die Beklagte habe weder falsche Auskünfte erteilt noch wusste sie beim Vertragsschluss von späteren besseren Programmen.

Ein Vorwurf der Druckausübung („Friss oder stirb“) sei nicht begründet, da das freiwillige Programm langfristig offenstand und ausreichend Bedenkzeit bot. Auch die Alternativanträge (Ersetzung, Fortbestand des Arbeitsverhältnisses) scheiterten an denselben Erwägungen.

Bei dem Gesamtvolumen der dem Kläger gewährten Leistungen (110.587,62 € brutto) ist es ihm nicht unzumutbar zuzumuten, an dem überaus üppig dotierten Aufhebungsvertrag festzuhalten.

Unser Fazit

Die Entscheidung unterstreicht, dass Freiwilligenprogramme klar, zeitlich und inhaltlich abgegrenzt sein müssen. Ein einmaliger Hinweis auf unveränderliche Konditionen gilt nur innerhalb des jeweils beworbenen Programms und begründet keine dauerhafte Garantie für alle Folgeprogramme.

Arbeitnehmende sollten Programmunterlagen sorgfältig prüfen und bei Unklarheiten gezielt nachfragen.

Arbeitgeber gewinnen Rechtssicherheit, wenn sie ihre Angebote eindeutig formulieren und keine allgemeinen Zusagen für künftige Programme aussprechen.

Betriebsräte sollten bei Neuauflagen präzise Konditionsverbesserungen festschreiben, um nachträgliche Streitigkeiten zu vermeiden.

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Portrait von Christian Wieneke-Spohler, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Christian Wieneke-Spohler
Portraitfoto von Kai Höppner, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Hamburg
Kai Höppner
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