BAG-Urteil vom 03.07.2024, Aktenzeichen 10 AZR 171/23
Arbeitnehmer klagt auf Schadenersatz wg. Zielvereinbarung
In einem aktuellen Fall entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) darüber, inwieweit ein Arbeitnehmer Schadensersatz verlangen kann, wenn eine vertraglich vereinbarte Zielvereinbarung als Grundlage für eine variable Vergütung nicht zustande kommt und der Arbeitgeber stattdessen einseitig Ziele vorgibt.
Die Urteilsbesprechung übernimmt unser Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht, Kai Höppner.
Datum
03.07.2024
Aktenzeichen
10 AZR 171/23
Gericht
Bundesarbeitsgericht (BAG)
Einordnung
Der rechtliche Rahmen des Falls basiert auf den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), insbesondere § 280 Abs. 1 BGB (Schadensersatzpflicht), § 315 BGB (Bestimmung der Leistung durch eine Partei) sowie den §§ 305 ff. BGB (Inhaltskontrolle von allgemeinen Geschäftsbedingungen).
Zentrale Bedeutung kommt dem Unterschied zwischen einer Zielvereinbarung und einer Zielvorgabe zu.
- Zielvereinbarung: Eine Zielvereinbarung ist eine vertragliche Einigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, bei der konkrete Ziele für einen bestimmten Zeitraum gemeinsam festgelegt werden. Diese Ziele müssen durch Verhandlungen einvernehmlich bestimmt werden. Beide Parteien sind verpflichtet, konstruktiv mitzuwirken und dem anderen Teil die Möglichkeit zu geben, auf die Zielsetzung Einfluss zu nehmen.
- Zielvorgabe: Eine Zielvorgabe liegt vor, wenn der Arbeitgeber einseitig die Ziele festlegt, die der Arbeitnehmer erreichen muss. Gemäß § 315 BGB ist eine solche einseitige Bestimmung grundsätzlich möglich, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die Festlegung nach „billigem Ermessen“ erfolgt und der Arbeitnehmer nicht unangemessen benachteiligt wird. Sieht ein Arbeitsvertrag die Möglichkeit einer Zielvorgabe vor, muss diese Klausel transparent und fair gestaltet sein; andernfalls wird sie durch die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle nach § 307 BGB für unwirksam erklärt.
Das BAG stellte klar, dass ein solches Recht zur einseitigen Zielvorgabe unzulässig ist, wenn es den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer ernsthaft in die Verhandlungen über die Zielvereinbarung einbeziehen und ihm eine reale Möglichkeit zur Einflussnahme geben. Ohne diese Verhandlungspflicht kann der Arbeitgeber nicht einfach zur Zielvorgabe übergehen.
Der Arbeitgeber erfüllt diese Vertragspflicht regelmäßig nur dann, wenn er es dem Arbeitnehmer ermöglicht, auf die Festlegung der Ziele Einfluss zu nehmen und bereit ist, diese auszuhandeln.
Der Sachverhalt
Der Kläger war bei der Beklagten als Development Director tätig. Sein Arbeitsvertrag enthielt neben einem festen Gehalt eine variable Vergütung in Form einer Tantieme, die an die Erreichung bestimmter Ziele geknüpft war. Diese Ziele sollten jährlich im Einvernehmen zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer festgelegt werden. Sollte keine Einigung erzielt werden, sah der Arbeitsvertrag vor, dass der Arbeitgeber die Ziele nach „billigem Ermessen“ festsetzen konnte.
Im Juni 2020 forderte der Kläger die Beklagte auf, Verhandlungen über die Zielvereinbarung aufzunehmen. Nachdem die Beklagte zunächst erfolglos einen Vorschlag vom Kläger angefordert hatte, legte sie dem Kläger eigene Zielvorgaben vor, die dieser ablehnte. Der Kläger schlug daraufhin alternative Ziele vor, die jedoch von der Beklagten zurückgewiesen wurden. Statt weiter zu verhandeln, setzte die Beklagte einseitig die von ihr festgelegten Ziele fest.
Der Kläger kritisierte, dass die festgelegten Ziele unangemessen und nicht erreichbar seien, da sie seine bisherige Tätigkeit nicht berücksichtigten und für den kurzen verbleibenden Zeitraum im Jahr 2020 zu anspruchsvoll seien. Letztlich kam es zu keiner einvernehmlichen Zielvereinbarung und der Kläger erhielt keine Tantieme für das Jahr 2020. Er forderte daraufhin Schadensersatz in Höhe von 97.000 €, da ihm bei einer ordnungsgemäßen Zielvereinbarung eine entsprechende Tantieme zugestanden hätte.
Die Beklagte argumentierte, dass sie berechtigt gewesen sei, die Ziele nach billigem Ermessen vorzugeben, da keine Einigung über die Zielvereinbarung erzielt wurde. Zudem seien die vorgegebenen Ziele angemessen und umsetzbar gewesen.
Das Urteil
Das BAG entschied zugunsten des Klägers und stellte fest, dass die Beklagte ihre vertragliche Pflicht zur Verhandlung über die Zielvereinbarung verletzt habe. Der Kläger habe daher einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 82.607,14 € brutto.
Das Gericht betonte, dass die im Arbeitsvertrag enthaltene Klausel, die es dem Arbeitgeber ermöglicht, bei Nichteinigung die Ziele einseitig vorzugeben, der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB nicht standhält. Diese Klausel sei unwirksam, da sie es dem Arbeitgeber ermögliche, die Pflicht zur Verhandlung über eine Zielvereinbarung zu umgehen und einseitig seine eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Dies benachteilige den Arbeitnehmer unangemessen, da ihm die Möglichkeit genommen werde, Einfluss auf die Zielsetzung zu nehmen, obwohl dies vertraglich vorgesehen war.
Das BAG führte weiter aus, dass eine Zielvereinbarung stets gemeinsam zwischen den Vertragsparteien ausgehandelt werden müsse. Eine Zielvorgabe dürfe nur in Ausnahmefällen erfolgen, wenn eine Einigung nachweislich nicht möglich ist. Hier habe die Beklagte jedoch die Verhandlungen frühzeitig abgebrochen und ihre eigenen Ziele einseitig festgelegt, ohne die Vorschläge des Klägers ernsthaft zu prüfen. Dies stelle eine Verletzung der Verhandlungspflicht dar.
Der Unterschied zwischen Zielvereinbarung und Zielvorgabe ist hierbei von entscheidender Bedeutung: Während eine Zielvereinbarung eine gleichberechtigte Verhandlung zwischen den Parteien erfordert, räumt eine Zielvorgabe dem Arbeitgeber ein einseitiges Bestimmungsrecht ein, das nur unter engen Voraussetzungen wirksam sein kann. Im vorliegenden Fall war die Zielvorgabe unwirksam, da die vertraglich vereinbarte Priorität auf der Zielvereinbarung lag und die Beklagte ihre Pflicht zur Verhandlung verletzt hatte.
Eine Zielvorgabe ist nur zulässig, wenn nachweislich keine Einigung über eine Zielvereinbarung erzielt werden konnte, und die Vorgaben müssen dem Maßstab des billigen Ermessens entsprechen.
Unser Fazit
Das Urteil stellt klar, dass Arbeitgeber, die vertraglich zur Verhandlung über Zielvereinbarungen verpflichtet sind und diese Pflicht nicht durch einseitige Zielvorgaben umgehen können. Einseitige Zielvorgaben dürfen nur unter strengen Voraussetzungen erfolgen und müssen nach „billigem Ermessen“ festgelegt werden
Die BAG-Entscheidung verdeutlicht, dass Arbeitgeber den Arbeitnehmern immer ermöglichen müssen, an der Festlegung der Ziele mitzuwirken. Andernfalls drohen Schadensersatzansprüche seitens des Arbeitnehmers.
Dieses Urteil ist daher insbesondere für jene Unternehmen von Bedeutung, die variable Vergütungssysteme einsetzen und Zielvereinbarungen in ihren Arbeitsverträgen verankern.
Weiterführende Links
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