Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg vom 20.11.2024, Aktenzeichen 10 Sa 13/24
Kundenwunsch entgegen der Gleichbehandlung
„Will eine Kundin nicht von einer Frau beraten werden, muss der Arbeitgeber die Beschäftigte in zumutbarer Weise schützen, andernfalls riskiert er eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 S. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)“.
Mit diesem Leitsatz ist ein interessantes Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 20.11.2024 überschrieben. Die Urteilsbesprechung übernimmt unser Fachanwalt für Arbeitsrecht in Hamburg, Christian Wieneke-Spohler.

Christian Wieneke-Spohler
Datum
20.11.2024
Aktenzeichen
10 Sa 13/24
Gericht
LAG Baden-Württemberg
Der Sachverhalt
Die Klägerin war seit März 1992 zunächst als Architektin und zuletzt im Vertrieb für die Beklagte tätig. Ihre monatliche Vergütung betrug durchschnittlich 14.050 € brutto.
Einer seit Juni 2019 bei der Beklagten registrierten Bauinteressentin wurde über das unternehmensintern zur Aufnahme und Verteilung von Interessenten angewandte System der Beklagten die Klägerin als Beraterin zugeordnet.
Im Februar 2023 fragte die Klägerin telefonisch bei der Bauinteressentin wegen der Entwicklung ihres Bauvorhabens nach. Sie erhielt von ihrem Vorgesetzten, dem Regionalleiter der Beklagten, die Information, dass die Bauinteressentin keine Frau als Beraterin wünsche.
Die Bauinteressentin wurde daraufhin intern auf den Regionalleiter „überschrieben“, der die weitere Bearbeitung übernahm. Bei der Beklagten bestand eine AGG–Beschwerdestelle, bei der die Klägerin geltend machte, sie werde diskriminiert.
Dieselbe Beschwerde erhob die Klägerin gegenüber dem Regionalleiter persönlich. Sie schrieb den Kontakt mit der Bauinteressentin in der Folge erneut auf sich um, weshalb die Kundin am 16. März 2023 wiederum unter dem Namen der Klägerin angeschrieben wurde.
Dies führte zu einer weiteren Beschwerde der Kundin bei dem Regionalleiter und ihrem Verlangen nach einem anderen Ansprechpartner.
Es blieb bei der Betreuung durch den Regionalleiter. Wäre es zu einem Vertragsschluss zwischen der Beklagten und der Kundin gekommen, hätte die Klägerin eine Provision von circa 32.000 € brutto erwarten können.
Die Klägerin machte u. a. einen Anspruch auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG geltend in Höhe von sechs Bruttomonatsgehältern.
Der Arbeitgeber schuldet zumutbare und verhältnismäßige Bemühungen um eine Beendigung der Benachteiligung, auch wenn er keinen bestimmten Erfolg garantieren kann.
Das Urteil
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, hingegen bejahte das LAG den Entschädigungsanspruch dem Grunde nach, sprach der Kläger allerdings lediglich eine Entschädigung in Höhe von 1.500 € zu.
Das LAG war der Ansicht, die Beklagte habe die Klägerin unmittelbar benachteiligt. Es führte zur Begründung aus:
Der Anspruch auf Entschädigung nach 15 Abs. 2 AGG setze einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus. Dieses Verbot untersage eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, u.a. wegen des Geschlechts.
Zwischen der Benachteiligung und einem in § 1 AGG genannten Grund müsse demnach ein Ursachenzusammenhang bestehen, den das LAG vorliegend bejahte.
Die Beklagte habe die Bauinteressentin aus dem Bestand der Klägerin entnommen und auf den Regionalleiter überschrieben, folglich der Betreuung durch die Klägerin entzogen. Ihr sei damit die Chance genommen worden, durch Betreuung der Bauinteressentin maximal zwei provisionspflichtige Vertragsabschlüsse zu generieren. Unabhängig davon sei ihr die Interessentin entzogen worden, die ihr zugeordnet gewesen sei, und damit eine konkrete Arbeitsaufgabe.
§ 12 Abs. 4 AGG bestimme, dass der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu ergreifen habe, wenn Beschäftigte bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch Dritte nach § 7 Abs. 1 AGG benachteiligt würden.
Welche Maßnahmen das sein könnten, gebe der Gesetzestext nicht vor. Dem Arbeitgeber stünden in der Regel keine Druckmittel gegenüber Dritten zu. Er könne diese nicht zu einem bestimmten Verhalten anweisen oder dieses erzwingen.
Zumindest aber schulde er zumutbare und verhältnismäßige Bemühungen um eine Beendigung der Benachteiligung, wenn auch keinen bestimmten Erfolg. In jedem Fall müsse deutlich werden, dass der Arbeitgeber die Benachteiligung durch Dritte nicht als unabänderlich hinnehme oder sie sich gar zu eigen mache.
Die Beklagte habe keine Maßnahme in diesem Sinne ergriffen, sondern erst gar nicht versucht, zum Schutze der Klägerin zu reagieren und stattdessen ihr direkt die Aufgabe entzogen.
Bei der Bemessung der Entschädigungshöhe hob das LAG hervor, dass der mit der Klage geltend gemachte Betrag überzogen und deshalb keinen Vergleichsmaßstab sei.
Da die Haftung nach § 15 Abs. 2 AGG verschuldensunabhängig sei, komme es vorrangig auf den Präventivzweck der Entschädigung an. Der ausgeurteilte Betrag sei vollkommen ausreichend, zumal die Beklagte mit der Einrichtung der AGG-Beschwerdestelle bereits zum Ausdruck gebracht habe, derartige Vorkommnisse ernst zu nehmen.
Weiterführende Links
An dieser Stelle finden Sie das besprochene Urteil sowie weiterführende Links zu Rechtstexten.
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