BAG v. 21.03.2024, Aktenzeichen 2AZR 79/23

Wann ist ein Unterrichtungsschreiben fehlerhaft?

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich mit zentralen Fragen (fehlerhafte Unterrichtung, Widerspruchsrecht) zum Betriebsübergang nach § 613a BGB beschäftigt und findet überraschende Antworten.

Die Urteilsbesprechung übernimmt unser Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht und Medizinrecht, Kai Höppner.

Portraitfoto von Kai Höppner, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Hamburg
Fachanwalt
Kai Höppner

Datum

21.03.2024

Aktenzeichen

2AZR 79/23

Gericht

Bundesarbeitsgericht (BAG)

Einordnung

Mit seiner bemerkenswerten Entscheidung vom 21.03.2024 hat das BAG die Rechtsgrundlagen des § 613 a BGB präzisiert und aktualisiert. Die Vorschrift regelt das rechtliche Schicksal der Arbeitsverhältnisse, die wegen eines Betriebsübergangs von einem Arbeitgeberwechsel betroffen sind.
Die Zuordnung eines Arbeitnehmers zu einer wirtschaftlichen Einheit ist Grundvoraussetzung für den Übergang des Arbeitsverhältnisses nach § 613a BGB.

Der Sachverhalt

Der Kläger war langjährig bei der Beklagten – einer Kraftfahrzeugherstellerin – beschäftigt. Diese betrieb unter anderem ein entfernt gelegenes Entwicklungszentrum mit etwa 6.000 Mitarbeitern. Die Beklagte schloss im  Ende 2018 und Anfang 2019 eine Vereinbarung mit dem Betriebserwerber über die Übernahme eines Teils dieses Entwicklungszentrums. Vor diesem Hintergrund ergriff die Beklagte in den Betriebsstätten des Entwicklungszentrums personelle und organisatorische Maßnahmen und baute den übergehenden Teil erkennbar um.

Mit Schreiben vom 25. Juli 2019 wurde der Kläger über den geplanten Betriebs(Teil)Übergang zum 30. August 2019 informiert. Der Betriebserwerber setzte die Betriebstätigkeit des Veräußerers ohne nennenswerte Unterbrechung und ohne eine wesentliche Änderung der vormals bei der Beklagten bestehenden Arbeitsorganisation fort. Mit Schreiben vom November 2020 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses.

Gegen die Versetzung und den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber machte der Kläger mit seiner Klage geltend, mit der Beklagten bestehe weiterhin ein Arbeitsverhältnis. Mangels übergangsfähiger wirtschaftlicher Einheit liege kein Betriebsübergang im Sinne des § 613 a BGB vor. Jedenfalls sei sein Arbeitsverhältnis nicht der übergegangen Einheit zugeordnet gewesen, da die Versetzung rechtswidrig gewesen sei.

Schließlich sei auch die Unterrichtung fehlerhaft gewesen, so dass er einem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auch noch im November 2020, also nach Ablauf der gesetzlichen Monatsfrist, habe widersprechen können

Das BAG-Urteil

Das BAG bestätigte in seiner Entscheidung den Betriebsübergang und stellte fest, dass es unerheblich sei, wie lange die wirtschaftliche Einheit beim Veräußerer vor dem Betriebsübergang bestanden habe. Sie könne auch allein zum Zweck der Ermöglichung eines Betriebs(Teil-)übergangs geschaffen werden, lediglich „betrügerische oder missbräuchliche“ Fälle hätten außer Betracht zu bleiben.

Weiter stellte das BAG fest, dass der Übergang des Arbeitsverhältnisses nicht schon an einer von dem Kläger geltend gemachten entsprechende Anwendung von § 613 a Abs. 4 S. 1 BGB scheitere, weil er wegen des Betriebs(Teil-)Übergangs in die übergehenden wirtschaftliche Einheit versetzt worden sei. Es fehle an den Voraussetzungen für eine solche Analogie. Durch eine dem Betriebsübergang vorgelagerte Versetzung in den übergehenden Betrieb werde der Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht infrage gestellt. Vor einer vom Arbeitnehmer nicht gewünschten Auswechslung des Arbeitgebers schütze allein das Widerspruchsrecht des § 613 a Abs. 6 BGB.

Besonders bemerkenswert sind die Ausführungen des BAG zur Unterrichtung der Arbeitnehmer. Der noch bis 2021 für den Betriebsübergang zuständige Zweite Senat des BAG hatte an die korrekte Information der Arbeitnehmer höchste, von Kritikern als überzogen empfundene Anforderungen gestellt. Die Neuverteilung der Zuständigkeit auf den Zweiten Senat des BAG führte zu einem Umdenken.

An den Inhalt der Unterrichtung über die rechtlichen Folgen des Betriebsübergang dürfen danach keine im praktischen Leben kaum erfüllbare Anforderungen in der Weise gestellt werden, dass das Unterrichtungsschreiben „keinen juristischen Fehler“ enthalten dürfe.

Und Fehler, die für den Willensbildungsprozess der Arbeitnehmer, ob sie einem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprechen, regelmäßig ohne Belang sind, so das BAG weiter, führen nicht dazu, dass die Widerspruchsfrist nicht zu laufen beginnt. Die Informationspflicht beinhaltete keine umfassende Rechtsberatung. Der Inhalt der Unterrichtung solle den Arbeitnehmer nicht über alle ihn möglicherweise treffenden individuellen Folgen des Betriebsübergangs informieren. Die Beklagte habe im vorliegenden Fall in dem Unterrichtungsschreiben die maßgeblichen Tatsachen benannt. Es habe deshalb dem Kläger oblegen, diese zu subsumieren oder weitere Erkundungen einzuholen.

Im Ergebnis hat das BAG die Sache nicht abschließend entscheiden können, da das LAG die Frage der Rechtswirksamkeit der Versetzung wegen angeblicher Verwirkung dieses Rechts nicht abschließend geprüft hatte und es an Ausführungen zur wirksamen Zuordnung des Klägers zu dem übergegangen Betriebsteil fehlte.

Der Rechtsstreit wurde deshalb an das LAG zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Sollte sich dabei herausstellen, dass die Versetzung unwirksam war, etwa weil es an den Voraussetzungen des § 106 Gewerbeordnung fehlt, hat der Kläger einen Weiterbeschäftigungsanspruch gegenüber dem alten Arbeitgeber.

Fehlerhafte Unterrichtungen führen nur dann zum Nichtanlaufen der Widerspruchsfrist, wenn sie für die Entscheidung des Arbeitnehmers relevant sind.

Unser Fazit

Die bisherige Rechtsprechung, dass das Unterrichtungsschreiben keinen juristischen Fehler enthalten dürfte, ist überholt. Es reicht aus, wenn der Arbeitgeber so informiert, dass der Arbeitnehmer sich über die Person des Übernehmers und die in § 613 a Abs. 5 BGB genannten Umstände „ein Bild machen kann“.

Der Arbeitgeber, dessen Unterrichtungsschreiben fehlerhaft ist, kann argumentieren, dass die Fehlerhaftigkeit für die Widerspruchsentscheidung ohne Belang beziehungsweise nicht ursächlich war.

Grundsätzlich können Arbeitnehmer in eine wirtschaftliche Einheit im Vorgriff und zum Zwecke eines nachfolgenden Betriebsteilübergangs versetzt werden. § 613 a BGB findet auf diesen Fall keine Anwendung, auch nicht analog.

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Portrait von Christian Wieneke-Spohler, Fachanwalt für Arbeitsrecht
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