BAG-Urteil vom 15.01.2025, Aktenzeichen 5 AZR 284/24
Ausländische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Häufig geraten Arbeitgeber in Schwierigkeiten, wenn Arbeitnehmer aus dem Auslandsurlaub mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zurückkehren. Das jüngste Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 15.01.2025 bietet neuen Ansatzpunkte zum Umgang mit solchen Bescheinigungen.
Die Urteilsbesprechung übernimmt unser Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht und Medizinrecht, Kai Höppner.

Kai Höppner
Datum
15.01.2025
Aktenzeichen
5 AZR 284/24
Gericht
Bundesarbeitsgericht
Einordnung
Unliebsame Erfahrungen verbinden sich für Arbeitgeber häufig mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wegen im Auslandsurlaub attestierter Krankheiten. Vor allem, wenn sich dadurch die Abwesenheit des urlaubenden beziehungsweise erkrankten Arbeitnehmers planwidrig verlängert.
Werden die Bescheinigungen nach Form und Inhalt ordnungsgemäß, also von approbierten Ärzten ausgestellt, kommt Ihnen ein hoher Beweiswert in Form eines sog. Anscheinsbeweises zu: Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit wird vermutet.
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG kann der Beweiswert der Bescheinigung vom Arbeitgeber aber erschüttert werden, indem er konkrete Tatsachen vorträgt, die ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründen.
In vielen Fällen gelingt es Arbeitgebern jedoch nicht, derartige zweifelhafte Tatsachen im Einzelnen zur Überzeugung des Gerichts vorzutragen. Von diesem Risiko betroffenen Arbeitgebern bietet das jüngste Urteil des BAG vom 15.01.2025 erstmals eine vielversprechende Hilfestellung.
Der Sachverhalt
Der Fall betraf einen seit 2002 bei der Beklagten beschäftigten Lagerarbeiter, der vom 22. 08. bis 09.09.2022 seinen Urlaub in Tunesien verbrachte.
In den Vorjahren hatte er sich bereits im Anschluss an mehrwöchige Aufenthalte in Tunesien häufiger krankgemeldet. Mit E-Mail vom 07.09.2022 hatte der Kläger mitgeteilt, er sei bis zum 30.09.2022 krankgeschrieben.
Beigefügt war das Attest eines tunesischen Arztes, der dem Kläger schwere Ischiasbeschwerden bescheinigte, ihm strenge häusliche Ruhe verordnete und ein Reise- und Bewegungsverbot aussprach.
Bereits am 08.09.2022 buchte der Kläger ein Fährticket für die Rückreise nach Deutschland am 29.09.2022 und trat diese auch an.
In einem weiteren Dokument erläuterte der tunesische Arzt seine Diagnose.
Die Beklagte lehnte die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ab und kürzte die Vergütung für September 2022 entsprechend.
Das Urteil
Der klagende Lagerarbeiter unterlag vor dem Arbeitsgericht, hatte aber mit seiner Berufung in zweiter Instanz Erfolg.
Das BAG hob anschließend das Urteil des LAG auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Arbeitsgericht zurück.
Das LAG hatte einzelne Verdachtsmomente geprüft und für sich als unverfänglich eingeschätzt. Dem widersprach das BAG mit folgender Begründung:
Zwar komme einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die in einem Land außerhalb der EU ausgestellt wurde, grundsätzlich der gleiche Beweiswert wie einer in Deutschland ausgestellten Bescheinigung zu, vorausgesetzt, der ausländische Arzt habe zwischen einer bloßen Erkrankung und einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit unterschieden.
Würden aber auf tatsächliche Umstände gestützte Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit geltend gemacht, dürften diese nicht isoliert betrachtet werden, sondern seien einer Gesamtbetrachtung zu unterziehen.
Ergäben sich – so im vorliegenden Fall – daraus ernsthafte Zweifel am Beweiswert der Bescheinigung, trage der Kläger die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit.
Derartige, die Gesamtschau begründende Umstände sah das BAG in folgenden Tatsachen:
- wiederholte Arbeitsunfähigkeit im Zusammenhang mit dem Urlaub
- Attesttierung 24-tägiger Arbeitsunfähigkeit ohne Anordnung erneuter ärztlicher Vorstellung
- Kauf des Fährtickets am Tage nach der ärztlichen Untersuchung
- beschwerliche Heimreise mit dem Auto während ärztlich verordneter Ruhezeit.
Das BAG war der Auffassung, dass diese Umstände für sich genommen unverfänglich sein könnten (so dass LAG), in ihrer Gesamtschau jedoch berechtigte Zweifel am Beweis der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründen.
Als Ergebnis dieser Gesamtschau muss der Kläger im vorliegenden Fall seine Arbeitsunfähigkeit nachträglich beweisen.
Einzelne unverfängliche Umstände können in ihrer Gesamtschau berechtigte Zweifel am Beweis der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründen.
Unser Fazit
Das BAG hat sich zuletzt mehrfach mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen befasst und missbräuchlich erteilten Bescheinigungen einen Riegel vorgeschoben (so zuletzt BAG vom 18.9.2024 – enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Kündigung und angeblicher Arbeitsunfähigkeit).
Mit der vorliegenden Entscheidung wird die Rechtsprechung weiter ausgedehnt. Für Zweifel am Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sind danach aus der Gesamtwürdigung aller verdächtigen einzelnen Umstände ableitbar, auch wenn die Umstände selbst und isoliert betrachtet, nicht geeignet sind, den Beweiswert hinreichend zu erschüttern.
Weiterführende Links
An dieser Stelle finden Sie das besprochene Urteil sowie weiterführende Links zu Rechtstexten.
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