Urteil zu zentralen Frage der Arbeitnehmerrechte (AZ 4 Sa 26/23​)

Degradierung und ungleiche Bezahlung

Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 19.06.2024 (Aktenzeichen 4 Sa 26/23) beleuchtet elementare Fragen rund um Versetzungsklauseln, Vergütungsgleichheit und Phantom Shares.

Die Urteilsbesprechung übernimmt Kai Höppner, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Medizinrecht in Hamburg.

Portraitfoto von Kai Höppner, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Hamburg
Fachanwalt
Kai Höppner

Datum

19.06.2024

Aktenzeichen

4 Sa 26/23

Gericht

LAG BW

Rechtlicher Rahmen

Im vorliegenden Fall sind mehrere gesetzliche Normen relevant, die das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg prägen. Wesentliche Normen umfassen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, welcher sich mit der Inhaltskontrolle von allgemeinen Geschäftsbedingungen befasst, und § 106 GewO, der das Weisungsrecht des Arbeitgebers regelt.

Ferner sind § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG, der Betriebsvereinbarungen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen einschränkt, und Art. 157 Abs. 1 AEUV, der die Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen festlegt, zentral. Ergänzend kommt das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) zur Anwendung, insbesondere §§ 3 und 7, die die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Hinblick auf Entgelt regeln.

Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot vorliegt, sondern ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben.

Der Sachverhalt

Die Klägerin, eine Arbeitnehmerin, war bei der X. AG als Leiterin des Bereichs „Projekt- und Prozessmanagement“ beschäftigt. Im Februar 2018 wurde sie versetzt und sollte die Funktion eines Business Information Security Officers (BISO) übernehmen, was ihrer Ansicht nach einer Degradierung gleichkam.

Zudem fühlte sie sich hinsichtlich der Phantom Shares und des Entgelts ungerecht behandelt im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen. Sie machte Ansprüche auf weitere Phantom Shares und Entgeltdifferenzen geltend und argumentierte, dass die Versetzungsklausel in ihrem Arbeitsvertrag unwirksam sei.

Das Arbeitsgericht Stuttgart hatte ihr teilweise recht gegeben, woraufhin beide Parteien Berufung einlegten.

Das Urteil

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschied am 19. Juni 2024 zugunsten der Klägerin in mehreren Punkten:

  • Phantom Shares: Die Klägerin hat Anspruch auf zusätzliche Phantom Shares im Wert von 13.500 Euro für das Jahr 2022. Das Gericht befand, dass die Beklagte nicht ausreichend darlegen konnte, warum die Klägerin weniger Phantom Shares erhalten hatte als ihre männlichen Kollegen. Hier kam der Gleichbehandlungsgrundsatz zur Anwendung.
  • Entgeltgleichbehandlung: Die Klägerin hat Anspruch auf eine Nachzahlung von 9.293,48 Euro brutto für das Jahr 2021. Die Beklagte konnte nicht beweisen, dass die niedrigere Vergütung der Klägerin auf objektiven und geschlechtsneutralen Kriterien beruhte. Die Beklagte hatte argumentiert, dass die geringere Vergütung der Klägerin auf ihrer geringeren Berufserfahrung und Betriebszugehörigkeit sowie einer angeblich niedrigeren Arbeitsqualität basiere, konnte jedoch nicht nachvollziehbar darlegen, wie diese Kriterien bewertet und gewichtet wurden.
  • Beschäftigung: Die Beklagte wurde verurteilt, die Klägerin weiterhin als Leiterin des Bereichs „Projekt- und Prozessmanagement“ zu den Bedingungen des Arbeitsvertrags zu beschäftigen. Das Gericht stellte fest, dass die Versetzungsklausel im Arbeitsvertrag der Klägerin unwirksam war, da sie keine klaren Kriterien für eine gleichwertige Beschäftigung enthielt und somit gegen § 307 BGB verstieß.

Die Vertragsklausel muss die Beschränkung auf den materiellen Gehalt des § 106 GewO unter Berücksichtigung der oben dargestellten Auslegungsgrundsätze aus sich heraus erkennen lassen.

Unser Fazit

Das Urteil stärkt die Rechte von Arbeitnehmern im Hinblick auf Versetzungsklauseln und die Entgeltgleichbehandlung. Arbeitgeber müssen klar darlegen können, dass Unterschiede in der Vergütung auf objektiven, nachvollziehbaren und geschlechtsneutralen Kriterien beruhen.

Zudem sind Versetzungsklauseln in Arbeitsverträgen nur dann wirksam, wenn sie transparent und fair gestaltet sind.

Für Arbeitnehmer bedeutet dieses Urteil eine bessere Absicherung gegen ungerechtfertigte Versetzungen und Entgeltbenachteiligungen. Arbeitgeber und Betriebsräte sollten ihre Vertragsklauseln und Vergütungssysteme sorgfältig überprüfen, um Rechtskonformität sicherzustellen und Diskriminierungsrisiken zu minimieren.

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Portrait von Christian Wieneke-Spohler, Fachanwalt für Arbeitsrecht
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