LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 15.01.2025, Aktenzeichen 3 SLa 156/24

Kündigung wegen Wegfall eines Großauftrags

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern entschied am 15. Januar 2025 (Az.: 3 SLa 156/24) über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung, die aufgrund des Wegfalls eines Großauftrags ausgesprochen wurde.

Im Zentrum der rechtlichen Auseinandersetzung stand die Frage, ob die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers und deren betriebliche Umsetzung ausreichend dargelegt wurden, um die Kündigung zu rechtfertigen. Zudem wurde die Sozialauswahl kritisch hinterfragt. 

Die Urteilsbesprechung übernimmt unser Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christian Wieneke-Spohler.

Portrait von Christian Wieneke-Spohler, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt
Christian Wieneke-Spohler

Datum

15.01.2025

Aktenzeichen

3 SLa 156/24

Gericht

LAG Mecklenburg-Vorpommern

Einordnung

Im deutschen Arbeitsrecht sind betriebsbedingte Kündigungen gemäß § 1 Abs. 2 KSchG nur dann sozial gerechtfertigt, wenn dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen, die eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unmöglich machen. Dabei muss der Arbeitgeber nachweisen, dass die unternehmerische Entscheidung zu einem dauerhaften Wegfall des Arbeitsplatzes führt und keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit besteht.

Die unternehmerische Entscheidung selbst unterliegt keiner gerichtlichen Überprüfung, wohl aber die konkreten Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Umsetzung seiner Entscheidung schlüssig darzulegen, insbesondere durch eine nachvollziehbare Prognose des künftigen Arbeitsvolumens (BAG, 22.02.2012 – 2 AZR 548/10).

Zudem spielt die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG eine wichtige Rolle. Der Arbeitgeber muss prüfen, ob sozial weniger schutzwürdige Arbeitnehmer vorrangig entlassen werden könnten. Dabei sind die drei Kriterien Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Alter zu berücksichtigen.

Entschließt sich ein Arbeitgeber bei einem starken Arbeitsrückgang dazu, eine bestimmte Tätigkeit nicht mehr vorzuhalten, sondern durch organisatorische Maßnahmen aufzufangen, so ist dies nachvollziehbar.

Der Sachverhalt

Die Klägerin war seit Januar 2021 als Disponentin in einem Unternehmen tätig, das Taxi- und Mietwagenfahrten durchführt. Ihre Hauptaufgabe bestand in der Disposition von Rufbusfahrten, die aufgrund eines exklusiven Großauftrags mit einer Verkehrsgesellschaft erforderlich waren. Im Zeitraum von März 2023 bis März 2024 befand sie sich in Elternzeit.

Der Arbeitgeber verlor zum 31. Oktober 2023 durch eine außerordentliche Kündigung des Auftraggebers diesen Großauftrag, wodurch die Dispositionsaufgaben drastisch zurückgingen. Vorher waren monatlich rund 6.750 Fahrten zu disponieren, nach dem Wegfall des Auftrags reduzierte sich die Zahl auf 750 Fahrten pro Monat, was einer drastischen Reduzierung des Arbeitsvolumens für Disponentinnen entsprach.

Infolgedessen entschied sich der Arbeitgeber, die verbleibenden drei Disponentinnen auf Fahrerpositionen umzusetzen, wozu die Klägerin mangels Führerscheines nicht in der Lage war. Zudem übertrug er die Restarbeiten auf eine Büromitarbeiterin und führte in Abwesenheitszeiten eine direkte Rufumleitung an die Fahrer ein. Die Klägerin wurde daraufhin am 15. April 2024 betriebsbedingt zum 31. Mai 2024 gekündigt.

Die Klägerin focht die Kündigung an und argumentierte, dass der Arbeitgeber die verbleibenden Tätigkeiten nicht ordnungsgemäß auf andere Mitarbeiter habe übertragen können und daher eine Änderungskündigung hätte aussprechen müssen. Zudem sei die Sozialauswahl fehlerhaft, da eine andere Mitarbeiterin vorrangig hätte gekündigt werden müssen.

Das Urteil

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern wies die Berufung der Klägerin zurück und bestätigte das erstinstanzliche Urteil.

  • Dringende betriebliche Erfordernisse: Das Gericht stellte fest, dass der Wegfall des Großauftrags eine unternehmerische Entscheidung darstellte, die zu einer dauerhaften Reduzierung des Arbeitskräftebedarfs führte. Die Entscheidung des Arbeitgebers, die Disponenten-Tätigkeit vollständig aufzugeben, sei weder willkürlich noch unsachlich. Die verbleibenden Aufgaben seien so gering, dass eine eigenständige Stelle für Disponentinnen nicht mehr erforderlich sei.
  • Umsetzung der organisatorischen Maßnahmen: Der Arbeitgeber habe hinreichend dargelegt, dass die verbleibenden Dispositionstätigkeiten durch eine Büromitarbeiterin sowie organisatorische Anpassungen abgedeckt werden konnten. Insbesondere sei die Rufumleitung an die Fahrer eine zulässige betriebsorganisatorische Maßnahme.
  • Fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten: Eine Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz war nicht möglich, da die Klägerin keine Fahrerlaubnis besaß und keine anderweitige Stelle zur Verfügung stand.
  • Sozialauswahl: Das Gericht stellte fest, dass die Klägerin keine besseren Sozialdaten als die Büromitarbeiterin aufwies. Zwar hatte die Klägerin drei unterhaltsberechtigte Kinder, während die Büromitarbeiterin nur einem Kind gegenüber unterhaltspflichtig war, jedoch war die Büromitarbeiterin älter und länger im Betrieb. Zudem waren die Tätigkeiten beider Arbeitnehmerinnen nicht vergleichbar, da die Büromitarbeiterin in einem anderen Funktionsbereich tätig war.

Das Gericht kam daher zu dem Schluss, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt war und die Sozialauswahl nicht zu beanstanden sei.

Die verbleibenden Tätigkeiten konnten ohne überobligatorische Mehrarbeit auf die übrigen Beschäftigten verteilt werden, sodass der Arbeitgeber nicht verpflichtet war, eine Änderungskündigung auszusprechen.

Unser Fazit

Das Urteil bestätigt, dass eine betriebsbedingte Kündigung auch dann gerechtfertigt sein kann, wenn ein erheblicher Teil der bisherigen Aufgaben entfällt und der Arbeitgeber dies durch organisatorische Maßnahmen auffängt. Arbeitgeber müssen jedoch detailliert darlegen, wie sie die verbleibenden Tätigkeiten umstrukturieren, um einer Kündigung den notwendigen rechtlichen Rahmen zu geben. Arbeitnehmer können sich gegen eine Kündigung verteidigen, indem sie die Umsetzung dieser Maßnahmen in Frage stellen oder Fehler in der Sozialauswahl nachweisen.

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Portrait von Christian Wieneke-Spohler, Fachanwalt für Arbeitsrecht
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Portraitfoto von Kai Höppner, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Hamburg
Kai Höppner
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