ArbG Gera vom 27.11.2024, Aktenzeichen 4 Ga 11/24
Weiterbeschäftigung dank Betriebsrat-Widerspruch?
Das ArbG Gera hatte über einen Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG zu entscheiden (4 Ga 11/24). Im Mittelpunkt stand die Frage, ob ein Widerspruch des Betriebsrats gegen eine verhaltensbedingte Kündigung ordnungsgemäß erfolgt ist.
Die Urteilsbesprechung übernimmt unser Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht Christian Wieneke-Spohler.

Christian Wieneke-Spohler
Datum
27.11.2024
Aktenzeichen
4 Ga 11/24
Gericht
Arbeitsgericht Gera
Einordnung
Der Anspruch auf Weiterbeschäftigung nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG setzt voraus, dass der Betriebsrat einer Kündigung fristgerecht und ordnungsgemäß widersprochen hat. Die Widerspruchsgründe sind in § 102 Abs. 3 BetrVG abschließend geregelt.
Insbesondere greift § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG, wenn ein Arbeitnehmer nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen weiterbeschäftigt werden könnte.
Dieses Kriterium findet zwar primär bei betriebs- oder personenbedingten Kündigungen Anwendung, ist jedoch nicht gänzlich im Falle von verhaltensbedingten Kündigungen ausgeschlossen. Entscheidend ist, dass der Betriebsrat den Widerspruch auf Gründe stützt, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Kündigungsart stehen.
Das Arbeitsgericht betonte, dass ein Weiterbeschäftigungsanspruch nur dann besteht, wenn der Widerspruch des Betriebsrats sowohl inhaltlich als auch formell den gesetzlichen Anforderungen entspricht.
Ein Widerspruch des Betriebsrats muss inhaltlich und formell den Anforderungen des § 102 Abs. 3 BetrVG entsprechen, um einen Weiterbeschäftigungsanspruch auszulösen.
Der Sachverhalt
Der Kläger, seit 2007 bei der Beklagten als Vertriebsmitarbeiter tätig, erhielt im November 2023 eine Abmahnung wegen Pflichtverletzungen. Ein späteres Angebot der Beklagten, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzuheben, lehnte er ab.
Im März 2024 beschloss die Beklagte, ihn verhaltensbedingt zu kündigen, und informierte den Betriebsrat. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung unter Berufung auf § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG.
Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage, die noch anhängig war, und beantragte zudem eine einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung über den Kündigungszeitpunkt hinaus. Er argumentierte, der Widerspruch des Betriebsrats sei ausreichend und ordnungsgemäß, um den Weiterbeschäftigungsanspruch zu begründen.
Die Beklagte entgegnete, dass der Widerspruch inhaltlich unzureichend sei, da § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG bei verhaltensbedingten Kündigungen nicht anwendbar sei.
Das Urteil
Das Arbeitsgericht Gera wies die Verfügungsklage ab, da es an einem Verfügungsanspruch fehlte.
Das Gericht stellte klar, dass der Betriebsrat zwar einen Widerspruch eingelegt hatte, dieser jedoch keinen relevanten Bezug zur verhaltensbedingten Kündigung aufwies.
§ 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG setzt voraus, dass eine Kündigung durch zumutbare Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen vermieden werden kann. Dies ist bei einer verhaltensbedingten Kündigung, die auf schuldhafte Vertragsverletzungen gestützt wird, nicht der Fall. Eine Verhaltensänderung könnte die Kündigungsgründe beseitigen, nicht jedoch eine Weiterbildung.
Weiterhin wies das Gericht darauf hin, dass der Betriebsrat sich überwiegend mit der Abmahnung befasst habe und keine belastbare Stellungnahme zu den aktuellen Vorwürfen abgab. Der Widerspruch erfüllte daher weder die inhaltlichen noch die formellen Anforderungen.
Da die Kündigung nicht offensichtlich unwirksam war, bestand auch kein allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch bis zur Entscheidung im Kündigungsschutzverfahren.
§ 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG findet bei verhaltensbedingten Kündigungen nur dann Anwendung, wenn der Kündigungsgrund durch Maßnahmen wie Umschulungen oder Fortbildungen entfallen könnte.
Unser Fazit
Das Urteil verdeutlicht die hohen Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Widerspruch des Betriebsrats bei einer verhaltensbedingten Kündigung. Arbeitgeber sollten sorgfältig prüfen, ob ein Widerspruch rechtlich tragfähig ist, bevor sie einen Weiterbeschäftigungsanspruch akzeptieren.
Für Arbeitnehmer und Betriebsräte zeigt der Fall, wie entscheidend eine präzise und fundierte Begründung des Widerspruchs ist, insbesondere bei Kündigungsarten, die primär auf Verhalten des Arbeitnehmers abzielen.
Weiterführende Links
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