LAG Köln vom 11.04.2024, AZ: 7 Sa 504/23​

Krankheitsbedingte Kündigung für Krankendienstfahrer

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln entschied in einem Berufungsverfahren über die Wirksamkeit einer personenbedingten Kündigung aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Der Arbeitgeber begründete die Kündigung mit einer negativen Gesundheitsprognose des Arbeitnehmers, während dieser eine Rückkehr in den Arbeitsalltag in Kürze als möglich erachtete.

Die Urteilsbesprechung übernimmt Kai Höppner, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Medizinrecht in Hamburg.

Portraitfoto von Kai Höppner, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Hamburg
Fachanwalt
Kai Höppner

Datum

11.04.2024

Aktenzeichen

7 Sa 504/23

Gericht

Landesarbeitsgericht Köln

Einordnung

Die krankheitsbedingte Kündigung zählt zu den personenbedingten Kündigungen gemäß § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Sie kann sozial gerechtfertigt sein, wenn diese auf einer negativen Gesundheitsprognose beruht, betriebliche Interessen erheblich beeinträchtigt werden und die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers ausfällt. In diesem Zusammenhang erfolgt eine dreistufige Prüfung:

  • Negative Gesundheitsprognose: Der Arbeitgeber muss darlegen, dass der Arbeitnehmer auch zukünftig über einen längeren Zeitraum krankheitsbedingt nicht in der Lage sein wird, seine Arbeitsleistung zu erbringen.
  • Betriebliche Beeinträchtigung: Es muss nachgewiesen werden, dass die krankheitsbedingte Fehlzeit erhebliche betriebliche Probleme verursacht, etwa durch hohe Entgeltfortzahlung, Störungen im Arbeitsablauf oder zusätzliche Belastungen für Kollegen.
  • Interessenabwägung: In dieser letzten Stufe wird abgewogen, ob dem Arbeitgeber die weitere Beschäftigung unter Berücksichtigung der betrieblichen und persönlichen Interessen des Arbeitnehmers noch zugemutet werden kann.

Es ist entscheidend, dass die Prognose über die zukünftige Arbeitsfähigkeit ausschließlich auf den Zeitpunkt der Kündigung bezogen ist. Auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat wiederholt klargestellt, dass eine negative Gesundheitsprognose nur dann gerechtfertigt ist, wenn objektive Tatsachen vorliegen, die eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit innerhalb eines absehbaren Zeitraums als unwahrscheinlich erscheinen lassen (vgl. BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 664/13).

Eine negative Prognose hinsichtlich der künftigen Entwicklung des Gesundheitszustands ist nur indiziert, wenn in Kürze nicht mit einer positiven Entwicklung gerechnet werden kann.

Der Sachverhalt

Der Kläger, geboren 1954, war seit September 2021 als Fahrer eines Krankenfahrdienstes für die Beklagte tätig. Im März 2023 erlitt er einen Bandscheibenvorfall, der zu einer beidseitigen Lumboischialgie und erheblichen Mobilitätseinschränkungen führte.

Die Arbeitsunfähigkeit begann am 1. April 2023 und dauerte zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung am 6. Mai 2023 weiterhin an. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 5. Juni 2023 und begründete dies mit dem Hinweis, dass der Kläger dauerhaft nicht mehr in der Lage sei, seine vertraglichen Pflichten zu erfüllen. Die Beklagte verwies auf einen Vorfall im Januar 2023, bei dem der Kläger aufgrund körperlicher Überforderung den Rollstuhl einer Patientin nicht korrekt gesichert hatte, was zu einem Unfall führte.

Der Kläger hingegen argumentierte, dass seine Arbeitsunfähigkeit temporär sei und auf einem Arbeitsunfall beruhe. Er erwartete eine baldige Genesung und sah eine Rückkehr zur Arbeit ab September 2023 als möglich an. Ferner wies er darauf hin, dass mildere Mittel, wie eine Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz, hätten in Betracht gezogen werden müssen.

Das Arbeitsgericht Siegburg gab der Kündigungsschutzklage des Klägers statt, da es an einer ausreichenden negativen Prognose zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung mangelte. Daraufhin legte der Arbeitgeber Berufung beim LAG Köln ein.

Das Urteil

Das LAG Köln bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts und wies die Berufung des Arbeitgebers zurück. Die Kündigung war sozial ungerechtfertigt, da die negative Gesundheitsprognose nicht ausreichend begründet war.

  1. Fehlende negative Gesundheitsprognose: Das Gericht stellte fest, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung erst fünf Wochen arbeitsunfähig war. Diese kurze Zeitspanne reicht nicht aus, um auf eine langfristige oder dauerhafte Arbeitsunfähigkeit zu schließen. Nach der Rechtsprechung des BAG könnte eine Arbeitsunfähigkeit erst nach längerer Dauer als Grundlage für eine negative Prognose herangezogen werden, normalerweise ab einem Zeitraum von sechs Monaten oder mehr (vgl. BAG, Urteil vom 12. Juli 2007 – 2 AZR 716/06). Die Beklagte hatte keine Anhaltspunkte vorgelegt, die auf eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit des Klägers hinwiesen. Auch der Bandscheibenvorfall wurde vom Gericht als behandelbare Erkrankung betrachtet, die nicht zwangsläufig zu einer dauerhaften Beeinträchtigung führen muss.
  2. Betriebliche Beeinträchtigung: Die Beklagte konnte ebenfalls nicht ausreichend darlegen, dass die Fehlzeiten des Klägers zu erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen führten. Zwar wurden betriebliche Störungen erwähnt, die durch den Personalausfall verursacht wurden, jedoch konnte nicht nachgewiesen werden, dass diese Belastungen unzumutbar seien. Das Gericht betonte, dass betriebliche Nachteile, wie Überstunden für andere Mitarbeiter, grundsätzlich hinzunehmen sind, solange die Krankheitsdauer verhältnismäßig kurz ist.
  3. Fehlerhafte Interessenabwägung: Die Interessenabwägung fiel zugunsten des Klägers aus. Aufgrund seiner langen Betriebszugehörigkeit und der vergleichsweise kurzen Krankheitsdauer hatte der Kläger ein berechtigtes Interesse am Erhalt seines Arbeitsplatzes. Zudem gab es Anzeichen dafür, dass er nach der Behandlung wieder voll einsatzfähig sein würde, was letztlich auch zutraf, da der Kläger nach seiner Genesung im Oktober 2023 seine Tätigkeit wieder aufnahm.
Allein aus dem Alter des Klägers kann nicht auf eine dauerhafte fehlende Arbeitsfähigkeit geschlossen werden.

Unser Fazit

Das Urteil des LAG Köln verdeutlicht, dass eine krankheitsbedingte Kündigung nur unter strengen Voraussetzungen zulässig ist. Der Arbeitgeber trägt die Darlegungslast für eine negative Gesundheitsprognose, die auf objektiven Tatsachen beruhen muss. In diesem Fall war die Kündigung unrechtmäßig, da die Beklagte nicht nachweisen konnte, dass der Kläger dauerhaft arbeitsunfähig sein würde. Das Urteil stärkt die Rechte von Arbeitnehmern, die aufgrund einer temporären Erkrankung von Kündigung bedroht sind.

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Portrait von Christian Wieneke-Spohler, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Christian Wieneke-Spohler
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