BAG-Urteil vom 15.01.2025, Aktenzeichen 5 AZR 135/24
Böswilliges Unterlassen eines Zwischenverdiensts
Im Urteil vom 15. Januar 2025 (Az.: 5 AZR 135/24) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) wesentliche Grundsätze zum Annahmeverzugslohn bei fehlender Arbeitsaufnahme aufgrund eines Änderungsangebots sowie zu den Voraussetzungen eines böswillig unterlassenen Zwischenverdienstes präzisiert.
Die Entscheidung enthält wegweisende Ausführungen zur Zumutbarkeit anderweitiger Beschäftigung und zur Reichweite der Leistungspflichten im Annahmeverzug.
Welche Kriterien für die Beurteilung der Böswilligkeit entscheidend waren, erläutert unser Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christian Wieneke-Spohler.

Christian Wieneke-Spohler
Datum
15.01.2025
Aktenzeichen
5 AZR 135/24
Gericht
Bundesarbeitsgericht
Einordnung
Hat ein gekündigtes Arbeitsverhältnis nach rechtskräftiger Entscheidung des Arbeitsgerichts fortbestanden und wird verlangt der Arbeitnehmer die Zahlung von Vergütung wegen Annahmeverzugs, richtet sich die Anrechnung anderweitigen Zwischenverdienstes nach § 11 Nr. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG).
Die Vorschrift bestimmt, dass sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, das anrechnen lassen muss, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen.
Die Darlegungs- und Beweislast für diese Einwendung trägt grundsätzlich der Arbeitgeber, der mit dem Ausspruch der unwirksamen Kündigung die Ursache für den Annahmeverzug gesetzt hat.
Ein Arbeitnehmer unterlässt böswillig im Sinne des § 11 Nr. 2 KSchG anderweitigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 Grundgesetz (GG) zumutbare, anderweitige Arbeit nicht aufnimmt.
Mit dieser Vorschrift wird dem Arbeitnehmer eine Pflicht zur angemessenen Rücksichtnahme auf die Belange des Arbeitgebers auferlegt.
Der Arbeitnehmer soll seine Annahmeverzugsansprüche nicht ohne Rücksicht auf den Arbeitgeber durchsetzen können.
Erforderlich für die Beurteilung der Böswilligkeit ist stets eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falles vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen.
Nach diesen Grundsätzen hatte das BAG der Klägerin in dem am 15.1.2025 entschiedenen Fall recht gegeben.
Der Sachverhalt
Die Klägerin, eine Verwaltungsangestellte des DRK, hatte am 31.03.2021 eine Änderungskündigung erhalten. Ihre ursprüngliche Wochenarbeitszeit betrug 28 Stunden.
Das Änderungsangebot des Arbeitgebers sah bei zunächst gleichbleibender Beschäftigung die Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf 15 Stunden vor, verbunden mit dem Vorbehalt, der Klägerin eine andere, wenn auch vergleichbare Tätigkeit, gegebenenfalls bei Versetzung an einen anderen Ort, zu übertragen.
Die Klägerin lehnte das Änderungsangebot ab und erhob Änderungskündigungsschutzklage.
Mit Schreiben vom 09.09.2022 bot die Beklagte der Klägerin eine Prozessbeschäftigung zu den Bedingungen des Änderungsangebots an, welche die Klägerin ablehnte.
Vom 01. April 2021 bis zum 14. Februar 2023 war die Klägerin bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet.
Sie erhielt von der Agentur für Arbeit fünf Vermittlungsvorschläge, auf die sie sich erfolglos bewarb. Auch auf fünf Vermittlungsvorschläge der Beklagten bewarb sich die Klägerin erfolglos. Ohne Erfolg blieben auch auf Eigeninitiative erfolgte Bewerbungen.
Zum 05.05.2021 kündigte die Beklagte des Arbeitsverhältnisses fristlos aus verhaltensbedingten Gründen, nachdem die Klägerin auf eine unrichtig ausgefüllte Arbeitsbescheinigung mit dem Antrag auf Erlass eines Bußgeldbescheides beim Arbeitsamt reagiert hatte.
Die Beklagte erachtete das Vorgehen der Klägerin als unverhältnismäßig und das Vertrauen als „weiter sehr stark beeinträchtigt“. Die Klägerin erhob auch dagegen Klage.
Ihren Zahlungsanspruch aus Annahmeverzug für die Zeit vom 01.04.2021 bis 14.02.2023 bezifferte die Klägerin mit 55.534,82 € brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 20.983,82 € netto.
Das Urteil
Das BAG differenzierte in seinem die Revision der Beklagten zurückweisenden Urteil wie folgt:
Das Angebot für die Zeit vom 01. April bis 04.05.2021 sei für die Klägerin schon deshalb unzumutbar gewesen, weil der Lohn für die angebotene geänderte Arbeit unter dem Arbeitslosengeld der Angestellten gelegen habe.
Im Zeitraum vom 05.05.2021 bis Anfang September 2022 habe infolge der fristlosen verhaltensbedingten Kündigung der Beklagten kein Angebot mehr existiert. Mit dem Ausspruch der fristlosen Kündigung habe die Beklagte zum Ausdruck gebracht, die Angestellte nicht mehr beschäftigen zu wollen.
Das Angebot der Prozessbeschäftigung zu den Bedingungen des Änderungsangebots Anfang September 2020 sei wiederum unzumutbar gewesen.
Die Beklagte habe nicht erklärt, wie trotz der aus ihrer Sicht bestehenden Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses eine Zusammenarbeit – wenn auch nur im Rahmen einer Prozessbeschäftigung – möglich sein sollte.
Sie habe auch nicht dargetan, wie sich angesichts der von ihr gegenüber der Klägerin erhobenen Vorwürfe und der von ihr bis Februar 2023 reklamierten Unmöglichkeit der Weiterbeschäftigung der Klägerin eine – auch nur für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses – den Betriebszwecken dienliche und der Klägerin zumutbare weitere Zusammenarbeit gestalten sollte.
Unser Fazit
Das Urteil des BAG stellt hohe Anforderungen an den Einwand böswilligen Unterlassens alternativer Arbeitsangebote. Damit reduziert das BAG das finanzielle Risiko von Arbeitnehmern bei unwirksamen Kündigungen.
Weiterführende Links
An dieser Stelle finden Sie das besprochene Urteil sowie weiterführende Links zu Rechtstexten.
- BAG-Urteil vom 15.01.2025, Aktenzeichen 5 AZR 135/24
- § 11 Nr. 2 KSchG: Anrechnung böswillig unterlassenen Verdienstes
- § 242 BGB: Leistung nach Treu und Glauben
- § 297 BGB: Unvermögen des Schuldners
- § 615 BGB: Vergütung bei Annahmeverzug und bei Betriebsrisiko
- Art. 12 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
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