LAG Niedersachsen vom 29.07.2024 (4 Sa 531/23)

Kranfahrer erhält außerordentliche Kündigung

In diesem aktuellen Urteil des LAG Niedersachsen wurde ein Fall der außerordentlichen Kündigung gegenüber einem Kranfahrer behandelt. Das Urteil dürfte weitreichende Implikationen für die Einhaltung betrieblicher Sicherheitsanweisungen haben. Konkret ging es um einen langjährigen Mitarbeiter eines Stahlunternehmens, der wiederholt gegen sicherheitsrelevante Arbeitsanweisungen verstieß und dabei andere Mitarbeiter gefährdete.

Die Urteilsbesprechung übernimmt Christian Wieneke-Spohler, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Hamburg.

Portrait von Christian Wieneke-Spohler, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt
Christian Wieneke-Spohler

Datum

29.07.2024

Aktenzeichen

4 Sa 531/23

Gericht

LAG Niedersachsen

Einordnung

Der rechtliche Rahmen des Falls basiert auf § 626 Abs. 1 BGB, der die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund regelt. Nach dieser Vorschrift kann ein Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist beendet werden, wenn Tatsachen vorliegen, die dem kündigenden Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen. Voraussetzung hierfür ist eine schwere Pflichtverletzung des Arbeitnehmers, die das Vertrauen des Arbeitgebers nachhaltig erschüttert.

In der Praxis ist die außerordentliche Kündigung eine Ausnahme und erfordert eine Interessenabwägung, bei der die Schwere des Verstoßes, das Maß der Verschuldung und die Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers berücksichtigt werden müssen. Zudem ist zu prüfen, ob eine Weiterbeschäftigung – gegebenenfalls auch in einer anderen Position – für den Arbeitgeber zumutbar wäre.

Die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung war in diesem Fall von zentraler Bedeutung, da der Kläger eine langjährige Betriebszugehörigkeit von über 30 Jahren hatte und somit tariflich quasi unkündbar war.

Ein grob fahrlässiger Verstoß gegen Sicherheitsanweisungen stellt einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB dar, wenn das Verhalten des Arbeitnehmers Leib und Leben anderer Mitarbeiter erheblich gefährdet.

Der Sachverhalt

Der Kläger war seit 1990 als Kranfahrer in einem Stahlwerk tätig und unterlag dem Manteltarifvertrag der Eisen- und Stahlindustrie, sodass er nur noch aus wichtigem Grund kündbar war. In den Jahren vor der Kündigung kam es mehrfach zu sicherheitsrelevanten Vorfällen, bei denen der Kläger gegen Arbeitsanweisungen verstieß. Unter anderem fuhr er eine schwebende Last über einen Kollegen und kollidierte beim Steuern eines Krans mit einer Stahlpfanne. Diese Vorfälle führten zu mehreren Abmahnungen. Die letzte Abmahnung erfolgte im Oktober 2022, nachdem der Kläger einen Kübel falsch handhabte und dabei Sachschaden verursachte.

Im Dezember 2022 kam es schließlich zu dem Vorfall, der zur Kündigung führte. Der Kläger bewegte einen Kran, ohne sich zu vergewissern, dass die Bahn frei war, und kollidierte mit einem anderen, defekten Kran. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten Elektriker auf dem anderen Kran, die durch den Zusammenstoß gefährdet wurden. Die Elektriker konnten sich zwar rechtzeitig festhalten, wurden jedoch erheblich gefährdet. Der Kläger gab an, den anderen Kran übersehen zu haben, da er nicht über den Standortwechsel des Krans informiert worden sei. Er räumte jedoch ein, dass er die Sicherheitsvorschriften missachtet hatte.

Nach diesem Vorfall entschied die Beklagte, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich zu kündigen. Der Betriebsrat stimmte der Kündigung nicht zu und verwies darauf, dass der Vorfall nicht nur auf das Fehlverhalten des Klägers, sondern auf eine Verkettung unglücklicher Umstände zurückzuführen sei. Zudem seien noch andere Arbeitsplätze innerhalb des Unternehmens, beispielsweise im Pförtnerdienst, verfügbar gewesen.

Das Urteil

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen entschied zugunsten der Beklagten und bestätigte die Rechtmäßigkeit der außerordentlichen Kündigung. Es stellte fest, dass der Kläger grob fahrlässig gehandelt hatte, indem er den Kran ohne ausreichende Kontrolle bewegte und dadurch sowohl Sach- als auch Personenschäden verursachte. Das Gericht betonte, dass der Kläger als Kranführer eine besondere Verantwortung trage, da er schwere Lasten bewege, die bei unsachgemäßer Handhabung eine erhebliche Gefährdung darstellen können.

Das Gericht sah in der Missachtung der Sicherheitsvorschriften nicht nur einen einfachen, sondern einen grob fahrlässigen Verstoß. Trotz seiner langen Betriebszugehörigkeit und der Abmahnungen zeigte der Kläger keine ausreichende Einsicht in sein Fehlverhalten, was das Vertrauen des Arbeitgebers in seine zukünftige Zuverlässigkeit erheblich erschütterte.

Hinsichtlich der Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz, beispielsweise im Pförtnerdienst, führte das Gericht aus, dass eine solche nur in Betracht komme, wenn das Fehlverhalten des Arbeitnehmers spezifisch an den bisherigen Arbeitsplatz gebunden sei. In diesem Fall betrachtete das Gericht das Verhalten des Klägers als arbeitsplatzunabhängig, da es sich um grundlegende Sorgfaltspflichten handelte, die auch an einem anderen Arbeitsplatz erforderlich gewesen wären.

Das Gericht betonte, dass der Kläger auch als Oberwachmann ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein hätte zeigen müssen, das er nach Auffassung des Gerichts nicht besaß. Auch das Fehlen alternativer Arbeitsplätze führte dazu, dass eine Weiterbeschäftigung des Klägers nicht zumutbar war.

Die anderweitige Beschäftigung eines Arbeitnehmers muss dem Arbeitgeber nicht nur möglich, sondern auch zumutbar sein. Bei verhaltensbedingten Gründen, die arbeitsplatzunabhängig sind, ist eine Versetzung regelmäßig kein geeignetes Mittel im Verhältnis zur Kündigung.

Unser Fazit

Das Urteil des LAG Niedersachsen verdeutlicht, dass grob fahrlässiges Verhalten im Umgang mit betrieblichen Sicherheitsvorschriften in sicherheitsrelevanten Tätigkeiten, wie der Kranführung, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen kann. Selbst eine langjährige Betriebszugehörigkeit und eine ordentliche Unkündbarkeit können eine solche Kündigung nicht verhindern, wenn das Fehlverhalten so schwerwiegend ist, dass eine Weiterbeschäftigung unzumutbar wird.

Für Arbeitgeber ist dieses Urteil von besonderer Bedeutung, da es aufzeigt, dass auch bei unkündbaren Arbeitnehmern eine außerordentliche Kündigung möglich ist, wenn sicherheitsrelevante Pflichten wiederholt und grob verletzt werden.

Weiterführende Links

An dieser Stelle finden Sie das besprochene Urteil sowie weiterführende Links zu Rechtstexten.

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Portrait von Christian Wieneke-Spohler, Fachanwalt für Arbeitsrecht
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Portraitfoto von Kai Höppner, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Hamburg
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