LAG Berlin-Brandenburg vom 02.07.2024, Aktenzeichen 19 Sa 1150/23

Grenzen der Probezeit im befristeten Arbeitsverhältnis

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg entschied über die Angemessenheit von Probezeiten in befristeten Arbeitsverträgen und deren Auswirkungen auf die Kündigungsmöglichkeiten während der Vertragslaufzeit.Die Urteilsbesprechung übernimmt Kai Höppner, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Medizinrecht.
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Fachanwalt
Kai Höppner

Datum

02.07.2024

Aktenzeichen

19 Sa 1150/23

Gericht

LAG Berlin-Brandenburg

Einordnung und rechtlicher Rahmen

Im Mittelpunkt standen dabei der Schutz befristet beschäftigter Arbeitnehmer gemäß § 15 Abs. 3 TzBfG sowie die Frage, ob durch eine Probezeitvereinbarung die Wartezeit des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) modifiziert werden kann. Das Urteil verdeutlicht die strengen Anforderungen an die Gestaltung von Probezeitregelungen und bietet Orientierung für die Praxis.

Im deutschen Arbeitsrecht regelt § 15 Abs. 3 TzBfG, dass eine Probezeit in einem befristeten Arbeitsverhältnis in einem angemessenen Verhältnis zur Gesamtdauer der Befristung und der Art der Tätigkeit stehen muss. Für die Kündigungsfrist während der Probezeit gilt § 622 Abs. 3 BGB (die Kündigungsfrist beträgt lediglich 14 Tage), während § 1 Abs. 1 KSchG bestimmt, dass Kündigungsschutz erst nach einer Wartezeit von sechs Monaten greift.

Die europäische Richtlinie (EU) 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen (ABRL) betont in Art. 8 Abs. 2 die Verhältnismäßigkeit von Probezeiten und deren Dauer, wobei Erwägungsgrund 28 eine Begrenzung auf 25 % der Vertragslaufzeit bei befristeten Verhältnissen nahelegt.

Ferner verweist das Gericht auf § 307 BGB, der unangemessene Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) für unwirksam erklärt, sowie auf die Grundsätze der richtlinienkonformen Auslegung und deren methodische Grenzen, insbesondere das Verbot einer Auslegung contra legem (lateinisch für „gegen das Gesetz“).

Die Angemessenheit der Probezeit muss im Verhältnis zur Vertragslaufzeit und der Art der Tätigkeit stehen. Bei einer einjährigen Befristung sind vier Monate Probezeit unverhältnismäßig.

Der Sachverhalt

Die Klägerin war seit dem 22. August 2022 für die Dauer eines Jahres befristet als „Advisor I, Customer Service“ tätig. Im Arbeitsvertrag wurde eine viermonatige Probezeit mit verkürzter Kündigungsfrist von zwei Wochen vereinbart. Am 9. Dezember 2022 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Verweis auf die Probezeit.

Die Klägerin klagte gegen die Kündigung und machte geltend, die Probezeitvereinbarung sei unverhältnismäßig, da sie ein Drittel der Vertragslaufzeit umfasse und § 15 Abs. 3 TzBfG sowie Art. 8 Abs. 2 ABRL widerspreche. Sie argumentierte, dass die Kündigung ohne wirksame Probezeitvereinbarung den Regelkündigungsfristen des § 622 Abs. 1 BGB unterliege und somit frühestens zum 15. Januar 2023 wirksam sei. Zudem sei die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG richtlinienkonform auf drei Monate zu verkürzen.

Die Beklagte hielt die Probezeitregelung für angemessen und verwies auf die Notwendigkeit einer 16-wöchigen Einarbeitungs- und Erprobungsphase. Alternativ sei die Kündigung als Wartezeitkündigung umzudeuten.

Das Arbeitsgericht Berlin gab der Klägerin in erster Instanz teilweise recht und erklärte die Probezeitvereinbarung für unwirksam, da die Dauer unverhältnismäßig sei. Es wendete stattdessen die Regelkündigungsfrist an, wodurch die Kündigung erst zum 15. Januar 2023 wirksam wurde.

Das Urteil

Das Landesarbeitsgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung. Es erklärte die Probezeitvereinbarung gemäß § 15 Abs. 3 TzBfG und § 307 Abs. 1 BGB für unwirksam, da die Dauer von vier Monaten bei einem einjährigen befristeten Arbeitsverhältnis unverhältnismäßig sei. Das Gericht orientierte sich dabei an einem Quorum von 25 % der Vertragslaufzeit, wie es aus Erwägungsgrund 28 der ABRL abgeleitet werden könne.

Die Beklagte konnte keine hinreichenden Gründe darlegen, warum die spezifische Tätigkeit eine längere Probezeit erforderte. Als Begründung vorgetragene Schulungs- und Einarbeitungsmaßnahmen von mindestens 12 Wochen rechtfertigten keine Überschreitung des Quorums.

Das Gericht lehnte andererseits die Ansicht der Klägerin ab, dass die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG durch die Probezeitregelung auf drei Monate verkürzt werde. Eine richtlinienkonforme Auslegung scheide aus, da sie den klaren Wortlaut der Norm (sechs Monate) nicht verändern dürfe. Der Kündigungsschutz nach dem KSchG greift daher erst nach Ablauf der Wartezeit.

Die Unwirksamkeit der Probezeitvereinbarung führte dazu, dass die Kündigung gemäß § 622 Abs. 1 BGB mit einer Frist von vier Wochen zum 15. Januar 2023 wirksam wurde. Eine weitere Anwendung der verkürzten Kündigungsfrist des § 622 Abs. 3 BGB war ausgeschlossen.

Eine richtlinienkonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 KSchG kann nicht zu einer Verkürzung der Wartezeit führen, da dies dem klaren Wortlaut der Norm widerspräche.

Unser Fazit

Dieses Urteil verdeutlicht die Bedeutung einer angemessenen Gestaltung von Probezeitregelungen in befristeten Arbeitsverhältnissen. Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass die Dauer der Probezeit in einem ausgewogenen Verhältnis zur Vertragsdauer steht. Für Arbeitnehmer bietet die Entscheidung Schutz vor überlangen Probezeiten und unangemessenen Kündigungsregelungen. Gleichzeitig bestätigt das Gericht die Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung und den Vorrang nationaler Vorschriften, wenn deren Wortlaut eindeutig ist.

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Portrait von Christian Wieneke-Spohler, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Christian Wieneke-Spohler
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