BAG-Urteil vom 12.02.2025, Aktenzeichen 5 AZR 127/24

Mitarbeiter-Freistellung birgt finanzielle Risiken

Eine Freistellung nach einer verhaltens- oder personenbedingte Kündigung erscheint Arbeitgebern häufig als pragmatische Lösung, um das gestörte Vertrauensverhältnis sofort zu beenden. Jedoch birgt diese Maßnahme für Arbeitgeber erhebliche finanzielle Risiken.

Die Urteilsbesprechung übernimmt unser Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christian Wieneke-Spohler.

Portrait von Christian Wieneke-Spohler, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt
Christian Wieneke-Spohler

Datum

12.02.2025

Aktenzeichen

5 AZR 127/24

Gericht

Bundesarbeitsgericht (BAG)

Einordnung

Kündigt ein Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis aus verhaltensbedingten Gründen oder personenbedingten Gründen, zieht dies häufig – weil das Vertrauensverhältnis als gestört empfunden wird – die Freistellung des Arbeitnehmers nach sich. Diese Maßnahme will gut überlegt sein, denn sie birgt finanzielle Risiken, wie der Arbeitgeber in dem vom BAG am 12.02.2025 entschiedenen Fall leidvoll erfahren musste.

Der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers bleibt bei unwiderruflicher Freistellung unberührt, es sei denn, der Arbeitgeber kann böswillig unterlassenen Erwerb nachweisen.

Der Sachverhalt

Der Kläger war seit 2019 bei der Beklagten als Senior Consultant zu einem Bruttomonatsgehalt von 6.440 € tätig. Die Kündigung war mit Schreiben vom 29.03.2023 zum 30.06.2023 erfolgt und mit einer unwiderruflichen Freistellung des Klägers verbunden.

Dieser hatte sich Anfang April 2023 bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet, erhielt aber erst Anfang Juli amtliche Vermittlungsvorschläge. Die Beklagte hingegen übersandte dem Kläger im Mai und Juni 2023 insgesamt 43 von Jobportalen oder Unternehmen online gestellte und für den Kläger angeblich geeignete Stellenangebote.

Erst Ende Juli 2023 bewarb sich der Kläger aktiv auf sieben der angebotenen Stellen. Er erhob erfolgreich Kündigungsschutzklage. Die Beklagte zahlte für Juni 2023, also den letzten Monat des gekündigten Arbeitsverhältnisses, keine Vergütung mehr.

Ein Consultant, seit 2019 beschäftigt, wurde im März 2023 zu Ende Juni 2023 gekündigt und freigestellt. Er meldete sich im April arbeitssuchend und erhielt im Juli amtliche Vermittlungsvorschläge. Bereits im Mai und Juni übersandte der Arbeitgeber zahlreiche Jobangebote. Erste Bewerbungen erfolgten dann Ende Juli.

Das Urteil

Das Arbeitsgericht gab der Beklagten insoweit recht, das Berufungsurteil des LAG führte zur Verurteilung, die das BAG bestätigte.

Der Kläger stritt um sog. Annahmeverzugslohn, § 615 BGB. Durch die unwiderrufliche Freistellung kommt der Arbeitgeber mit der Annahme der Dienste des Arbeitnehmers in Verzug.

Der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers bleibt davon unberührt, es sei denn, der Arbeitgeber könnte sich auf böswillig unterlassenen Erwerb gem. § 615 S. 2 BGB berufen. Dieser liegt vor, wenn der Arbeitnehmer treuwidrig zumutbare Arbeit grundlos ablehnt oder vorsätzlich verhindert, dass ihm diese angeboten wird.

In diesem Fall muss sich der Arbeitnehmer den nicht erzielten anderweitigen fiktiven Verdienst anrechnen lassen. Darauf spekulierte offenbar die Beklagte, indes zu Unrecht.

Das BAG hielt entgegen:

§ 615 Abs. 1 S. 2 BGB sei eine sog. Billigkeits-Regelung. Die Benachteiligung des Arbeitnehmers durch die Anrechnung nicht erzielten anderweitigen Verdienstes sei nur gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer wider Treu und Glauben (§ 242 BGB) untätig geblieben sei.

Diese Feststellung führt zu einer Gesamtabwägung unter Bewertung aller Umstände des Falles. In diesem Rahmen hätte das Unternehmen zunächst vortragen müssen, weshalb ihm die Erfüllung des aus dem Arbeitsverhältnis resultierenden Beschäftigungsanspruchs unzumutbar gewesen sei.

Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Mitarbeiter keine Verpflichtung habe, schon vor Ablauf der Kündigungsfrist zur finanziellen Entlastung des Arbeitgebers ein anderweitiges Beschäftigungsverhältnis einzugehen und daraus Verdienst zu erzielen, entfalle der Anspruch auf den Annahmeverzugslohn nicht.

Bei der einseitigen unwiderruflichen Freistellung während der Kündigungsfrist ist höchste Vorsicht geboten, da hierdurch der Beschäftigungsanspruch und die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers verletzt werden könnten.

Unser Fazit

Bei der einseitigen unwiderruflich Freistellung während der Dauer der Kündigungsfrist ist höchste Vorsicht geboten. Denn damit wird der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers und folglich sein verfassungsrechtlich geschütztes Gut auf freie Entfaltung der Persönlichkeit verletzt, Art. 2 Abs. 1 GG.

Deshalb wird der Arbeitgeber nur im Ausnahmefall mit dem Argument der Böswilligkeit gehört. Der Arbeitgeber trägt die Beweislast für die Anrechnung. Die Einstellung der Vergütungszahlung führt erfahrungsgemäß zu einem hohen Prozessrisiko.

Weiterführende Links

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