LAG Hessen vom 29. Oktober 2024, Aktenzeichen: 8 Sa 1057/23
Verlängerte Kündigungsfrist in der Probezeit als Chance?
Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) hat am 29. Oktober 2024 (Az.: 8 Sa 1057/23) eine wegweisende Entscheidung über die Zulässigkeit einer Probezeitkündigung mit verlängerter Kündigungsfrist getroffen.
Eine kommunale Arbeitgeberin hatte einer Führungskraft während der Probezeit unter Einräumung einer sechsmonatigen Kündigungsfrist gekündigt. Die Arbeitnehmerin sah darin einen Rechtsmissbrauch und klagte gegen die Kündigung sowie auf Weiterbeschäftigung. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab.
Die Urteilsbesprechung übernimmt unser Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christian Wieneke-Spohler.

Christian Wieneke-Spohler
Datum
29.10.2024
Aktenzeichen
8 Sa 1057/23
Gericht
LAG Hessen
Einordnung
Kern der rechtlichen Auseinandersetzung war die Frage, ob eine Kündigung während der Probezeit, bei der die gesetzliche Mindestkündigungsfrist (§ 622 Abs. 3 BGB, wie präzisiert durch § 34 Abs. 1 TVöD) deutlich überschritten wird, wegen Rechtsmissbrauch (§ 242 BGB) oder treuwidriger Vereitelung des Kündigungsschutzes (§ 1 KSchG i. V.m. § 162 BGB analog) unwirksam ist.
Zudem war strittig, ob die Anhörung des Personalrats gemäß § 75 Abs. 4 Satz 1 HPVG ordnungsgemäß erfolgte.
Auch § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO war relevant, weil das Arbeitsgericht über einen Weiterbeschäftigungsantrag entschied, der nicht zur Entscheidung anstand.
Die Entscheidung beleuchtet insbesondere die Trennlinie zwischen rechtsmissbräuchlicher Fristverlängerung und einer zulässigen „Bewährungschance“ während der Probezeit.
Der Sachverhalt
Die Klägerin, eine bisher nicht führungserfahrene Verwaltungsangestellte, übernahm am 1. Januar 2023 die Leitung einer kommunalen Abteilung. Sie wurde über einen Headhunter angeworben.
Aufgrund bestehender Spannungen mit dem Team und Zweifeln an ihrer Führungskompetenz kündigte die beklagte Stadt zunächst mündlich zum Ende der sechsmonatigen Probezeit.
Nach einem Maßnahmenplan der Klägerin wurde jedoch eine Kündigung mit verlängerter Frist zum 31. Dezember 2023 ausgesprochen – mit der Option einer Wiedereinstellung bei positiver Entwicklung.
Die Klägerin bestritt ihr Einverständnis mit der längeren Kündigungsfrist und warf der Stadt eine treuwidrige Umgehung des Kündigungsschutzes sowie eine fehlerhafte Anhörung des Personalrats vor.
Das Urteil
Das LAG Hessen bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts Offenbach (Oktober 2023, 2 Ca 178/23) und wies die Berufung der Klägerin zurück.
Es stellte fest, dass keine treuwidrige Umgehung des allgemeinen Kündigungsschutzes (§ 1 KSchG i. V. m. § 162 BGB analog) vorlag.
Eine Kündigung kurz vor Ablauf der Wartezeit kann treuwidrig sein, wenn sie ausschließlich der Umgehung des Kündigungsschutzes dient – im vorliegenden Fall war jedoch eine nachvollziehbare Bewährungsabsicht gegeben.
Die Beklagte hatte der Klägerin vor der Kündigung offen ihre Zweifel mitgeteilt und ursprünglich fristgemäß zum Ende der Probezeit gekündigt. Erst auf Initiative der Klägerin wurde eine verlängerte Frist mit Bewährungsoption gewählt.
Auch sei die Kündigungsfrist von sechs Monaten durch den TVöD gedeckt und somit nicht übermäßig.
Das Gericht sah in der Äußerung der Klägerin („Welche Option habe ich denn sonst?“) ein konkludentes Einverständnis mit der Kündigungsvariante.
Die Anhörung des Personalrats sei formell korrekt erfolgt; ein Täuschungsversuch war nicht erkennbar.
Das ArbG Offenbach habe jedoch über den Weiterbeschäftigungsantrag in unzulässiger Weise entschieden (§ 308 Abs. 1 ZPO), da dieser als unechter Hilfsantrag nur bei Obsiegen im Kündigungsschutzantrag zu prüfen gewesen wäre – was nicht der Fall war.
Unser Fazit
Die Entscheidung verdeutlicht, dass eine verlängerte Kündigungsfrist während der Probezeit zulässig sein kann, wenn sie der tatsächlichen Bewährung dient und nicht der Umgehung des Kündigungsschutzes.
Arbeitgeber im öffentlichen Dienst sollten bei ähnlichen Situationen sorgfältig dokumentieren, aus welchen Gründen eine verlängerte Kündigungsfrist gewählt wurde.
Für Arbeitnehmer zeigt das Urteil, dass eine stillschweigende Zustimmung zu einem Kündigungsweg als Einverständnis gewertet werden kann.
Betriebsräte und Personalvertretungen müssen nicht zustimmen, sondern lediglich angehört werden – auch dies war korrekt erfolgt.
Weiterführende Links
An dieser Stelle finden Sie das besprochene Urteil sowie weiterführende Links zu Rechtstexten.
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