LAG Hessen vom 28.03.2025, Aktenzeichen 10 SLa 916/24

Zum Maßrelgelverbot bei Kündigung wegen Krankmeldung

Darf ein Arbeitnehmer während der Probezeit gekündigt werden, weil er krankheitsbedingt fehlt? Oder verstößt eine solche Kündigung gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB? Mit dieser spannenden Frage hatte sich das Hessische Landesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 28. März 2025 (Az. 10 SLa 916/24) zu befassen.

Ausgangspunkt war ein Arbeitsunfall eines neu eingestellten Berufskraftfahrers und eine kurze Zeit später ausgesprochene Kündigung. Zuvor hatte bereits das Arbeitsgericht Frankfurt am Main (Az. 18 Ca 908/24) über die Wirksamkeit der Kündigung entschieden.

Die Urteilsbesprechung übernimmt Fachanwalt für Arbeitsrecht und Medizinrecht aus Hamburg, Kai Höppner.

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Fachanwalt
Kai Höppner

Datum

28.03.2025

Aktenzeichen

10 SLa 916/24

Gericht

LAG Hessen

Einordnung

Klagen gegen eine Probezeitkündigung auf Feststellung ihrer Unwirksamkeit scheitern in der Regel an der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz.

Danach entsteht der gesetzliche Kündigungsschutz erst, wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat. Ein Ausweg wird gern über das Maßregelverbot des § 612 a BGB gesucht.

Die Vorschrift verbietet die Benachteiligung eines Arbeitnehmers, wenn und soweit dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. § 612 a BGB könnte dem Arbeitnehmer folglich zur Seite stehen, wenn in der Kündigung wegen Krankmeldung ein Verstoß gegen das Maßregelverbot zu sehen und die Kündigung allein deswegen unwirksam wäre.

Dieser Auffassung war der Kläger in dem vom LAG Hessen am 28.3.2025 entschiedenen Fall.

Ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Krankmeldung und Kündigung reicht für sich genommen nicht aus, um einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot zu begründen. Es bedarf zusätzlicher, klarer Anhaltspunkte für ein unlauteres Motiv des Arbeitgebers.

Der Sachverhalt

Der Kläger wehrte sich gegen eine Probezeitkündigung. Er war zusammen mit drei anderen Arbeitnehmern über eine spanische Vermittlungsfirma als Berufskraftfahrer vermittelt worden. Er verfügte über keinerlei Erfahrungen als Fahrer und verrichtete seine Tätigkeit auch nicht unfallfrei. Die deutschen Sprachkenntnisse waren unzulänglich.

Ein Arbeitsunfall des Klägers hatte eine mehrtägige Arbeitsunfähigkeit zur Folge. Zwei Tage nach Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit verkürzter Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 3 BGB in der Probezeit. Der Kläger sah sich wegen des zeitlichen Zusammenhangs zwischen Meldung der Arbeitsunfähigkeit und Ausspruch der Kündigung benachteiligt. Das zulässige Fernbleiben von der Arbeit sei mit der Kündigung sanktioniert worden.

Die Beklagte hatte nicht nur dem Kläger, sondern auch zwei weiteren vermittelten spanischen Arbeitnehmern gekündigt und berief sich auf deren unzulängliche Sprachkenntnisse sowie der Unzufriedenheit mit der Arbeitsleistung der Arbeitnehmer.

Das Urteil

Das LAG erachte eine derartige Kündigungsbegründung als ausreichend und wies die Berufung des Klägers gegen die bereits in erster Instanz erfolglose Kündigungsschutzklage zurück.

In der Probezeit verlange die Kündigung keine umfassende soziale Rechtfertigung. Es genüge ein nachvollziehbarer sachlicher Grund. Dieser brauche nicht den Anforderungen des § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz zu genügen.
Im vorliegenden Fall sprächen die Gesamtumstände (u.a. mangelnde Sprachkenntnisse, keine Unfallfreiheit) für einen solchen Grund. Der von dem Kläger geltend gemachte zeitliche Zusammenhang zwischen Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und Ausspruch der Kündigung sei zwar beachtlich, aber nicht zwingend als Ursache für die Maßnahme zu bewerten.

Auch während der Probezeit ist der Arbeitgeber nicht völlig frei in seiner Entscheidung – das Kündigungsrecht findet seine Grenzen insbesondere in § 612a BGB und dem Grundsatz von Treu und Glauben.

Unser Fazit

An den Nachweis des unlauteren Motivs für eine Kündigung sind hohe Anforderungen zu stellen. Ein zeitlicher Zusammenhang allein reicht für die Annahme eines Verstoßes gegen das Maßregelverbot nicht aus. Der Arbeitnehmer trägt die Darlegungs- und Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen zulässiger Rechtsausübung und Kündigung.

Ist dieser Zusammenhang hingegen offensichtlich und eindeutig, kommt dem Arbeitnehmer eine Beweiserleichterung zugute; so etwa nach einem in erster Instanz gewonnenen Kündigungsrechtsstreit, wenn der Arbeitnehmer, an einen neuen Arbeitsplatz gesetzt und von übrigen Arbeitnehmern getrennt, mit sinnlosen Arbeiten beschäftigt wird.

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Portrait von Christian Wieneke-Spohler, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Christian Wieneke-Spohler
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